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Beschluß des Verwaltungsgerichtshofs Kassel

vom 1. August 1997 - 7 TZ 1535/97


veröffentlicht in: InfAuslR 1998, 50; NVwZ 1998, 542: FamRZ 1998, 618

Leitsatz:

Die Abschiebung Eines Ausländers, der mit einem deutschen Staatsangehörigen in einer gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft lebt, greift in dessen Recht Achtung des Privatlebens nach Art. 8 Abs. 1 EMRK ein, wenn die Lebensgemeinschaft nicht andernorts gelebt werden kann und die Verbindung des Paares zur Bundesrepublik Deutschland wesentlich für den Bestand der Beziehung ist.

Unter diesen Umständen besteht auch ein Anspruch auf Duldung wegen rechtlicher Unmöglichkeit der Abschiebung gemäß § 55 Abs. 2 AuslG i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG.


Aus den Gründen:

Der nach § 146 Abs. 5 VwGO zulässige Antrag auf Zulassung der Beschwerde hat Erfolg, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 146 Abs. 4 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).

Grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ist dann gegeben, wenn die Rechtsstreitigkeit eine tatsächliche oder rechtliche Frage aufwirft, die für die Beschwerdeinstanz entscheidungserheblich ist und die über den Einzelfall hinaus im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung einer Klärung bedarf. Diese Voraussetzungen sind hinsichtlich der von dem Antragsteller aufgeworfenen Frage erfüllt. Der Antragsteller hält die Rechtsfrage für klärungsbedürftig, ob ein Anspruch auf Duldung nach § 55 Abs. 2 AuslG in den Fällen einer gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft eines Ausländers mit einem deutschen Staatsangehörigen besteht, in denen die Lebensgemeinschaft im Ausland nicht gelebt werden kann und die Lebensgemeinschaft eine spezifische Beziehung zum Bundesgebiet aufweist. Diese Rechtsfrage ist höchstrichterlich oder obergerichtlich bisher noch nicht geklärt und hat in rechtlicher Hinsicht eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung. Die zu klärende Rechtsfrage ist auch für den zu entscheidenden Fall rechtserheblich, da dem - seitens des Antragsgegners unwidersprochen gebliebenen - Vortrag des Antragstellers zufolge sein deutscher Lebenspartner keine Aufenthaltserlaubnis in Rumänien zur Führung einer gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft erhalten könnte (vgl. hierzu den eine Visumserteilung zur Führung einer gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft betreffenden Beschluss des OVG Nordrhein-Westfalen vom 07.08.1996 - 17 A 1093/95 - InfAuslR 1997, 189 <199>), so dass für den Antragsteller und seinen deutschen Lebenspartner ein anderer Lebensmittelpunkt als Deutschland nicht ernsthaft in Betracht kommt.

Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts hat der Antragsteller einen Anspruch auf Erteilung einer Duldung nach § 55 Abs. 2 AuslG i.V.m. § 53 Abs. 4 AuslG, denn der Abschiebung des Antragstellers steht Art. 8 Abs. 1 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 04.11.1950 (BGBl. 1954 II, 14) - EMRK - entgegen. Nach Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens. Die Führung gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften fällt hinsichtlich des Anspruchs auf Achtung den Privatlebens in den Schutzbereich dieser Bestimmung (EKMR, Entscheidung vom 03.05.1983 - Nr. 9369/81 - Decision and Reports - D.R. - Band 32, 220 <221>; EGMR; Urteil vom 22.10.1981 - Fall Dudgeon - EuGRZ 1983, 488; EGMR, Urteil vom 26.10.1988 - Nr. 6/1987/129/180 - Fall Norris - EuGRZ 1992, 477; BVerwG, Urteil vom 27.02.1996 - 1 C 41.93 - NVwZ 1997, 189). Ein Anspruch auf Aufenthalt und Einreise läßt sich hieraus jedoch grundsätzlich nicht herleiten. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat ausgeführt, daß aus Art. 8 EMRK grundsätzlich nicht die Pflicht eines Konventionsstaates folge, die von einem Ehepaar getroffene Wahl des gemeinsamen Wohnsitzes zu achten und Ehegatten, die nicht die Nationalität des Vertragsstaates haben, den Aufenthalt zu ermöglichen (EGMR, Urteil vom 28.05.1985 - 15/1983/71/107–109 - Fall Abdulaziz - NJW 1986, 3007 <3009>). Das Ausmaß der staatlichen Verpflichtung, Verwandte der ansässigen Einwanderer in das Staatsgebiet immigrieren zu lassen, hänge vielmehr von den besonderen Umständen der betroffenen Personen ab (EGMR, Urteil vom 28.05.1985, a.a.O.). Diese, für den Schutzbereich des Familienlebens entwickelten Grundsätze gelten in entsprechender Weise für den des Privatlebens (vgl. EKMR, Entscheidung vom 03.05.1983, a.a.O.). Für den ebenfalls eine Abschiebung des ausländischen Partners einer gleichgeschlechtlichen. Lebensgemeinschaft betreffenden Fall hat die Europäische Kommission für Menschenrechte (EKMR) entschieden, daß die Abschiebung eines der Partner eines homosexuellen Paares nicht das Recht auf Achtung des Privatlebens verletzt, es sei denn es wäre einwandfrei festgestellt, daß das Paar andernorts nicht leben kann und die Verbindung mit dem Abschiebestaat ein wesentliches Element der Beziehung ist ("The deportation of one of a homosexual couple does not constitute an interference with the right to respect for private life, unless it were established that the couple cannot live elsewhere and that the link with the deporting State is a material element of the relationship"; EKMR; Entscheidung von 03.05.1983, a.a.O.).

Folglich berührt die Abschiebung des ausländischen Partners einer gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft den Anspruch auf Achtung des Privatlebens gemäß Art. 8 Abs. 1 MRK, wenn die Partnerschaft nicht andernorts gelebt werden kann und die Verbindung des Paares zu dem betreffenden Konventionsstaat wesentlich für den Bestand der Beziehung ist.

In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts wird die letztgenannte Voraussetzung dahingehend zum Ausdruck gebracht, dass das Privatleben in dem betreffenden Land fest verankert ist und sich nicht auf eine lose Beziehung beschränkt (BVerwG, Urteil vom 30.11.1982 - 1 C 25.78 - BVerwGE 66, 268 <.273>; BVerwG, Urteil vom 27.02.1996 - 1 C 41.93 - a.a.O. -).

Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fell erfüllt. Wie bereits dargelegt, kommt ein Zusammenleben der Partner in Rumänien, dem Heimatland des Antragstellers, nicht in Betracht. Im übrigen kann auch die konkrete Gefahr einer strafrechtlichen Verfolgung des Antragstellers bei einer Rückkehr nach Rumänien nicht ausgeschlossen werden. Zwar ist die Strafvorschrift über homosexuelle Beziehungen (Art. 200 des rumänischen Strafgesetzbuches) in der Weise neu gefasst worden, dass die Tat nur bestraft wird, wenn sie in der Öffentlichkeit begangen wird oder öffentliches Ärgernis erregt oder wenn sie an einer minderjährigen Person oder unter Ausnutzung der Wehrlosigkeit einer Person oder unter Androhung von Gewalt begangen wird (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Rumänien (Stand: März 1997) vom 25.04.l997). Mangels einer klaren Definition des Begriffs "öffentliches Ärgernis" besteht aber die konkrete Gefahr willkürliche Auslegungen dieses Begriffe durch Polizei und Justiz. Nach. rumänischem Rechtsverständnis kann möglicherweise schon dann ein "öffentliches Ärgernis" vorliegen, wenn mehr als die an der homosexuellen Handlung Beteiligten davon erfahren (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Rumänien (Stand: März 1996) vom 15.04.1996). Dies wäre aber bereits im Fall des Zusammenlebens der Partner der gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft und der Anmietung einer gemeinsamen Wohnung durch diese der Fall. Die konkrete Gefahr willkürlicher Auslegungen der Neufassung des Art. 200 des rumänischen Strafgesetzbuches wird auch durch die Stellungnahme von amnesty international vom 06.12.1996 an das Verwaltungsgericht Bremen belegt, wonach die Polizei, als Reaktion auf eine in Mai 1995 in Bukarest veröffentliche Dokumentation von amnesty international, behauptet habe, seit Beginn des Jahres 1994 in 113 Fällen gegen Homosexuelle ermittelt zu haben, weil sie "öffentliches Ärgernis" erregt hätten, obwohl die Strafbestimmung zu diesem Zeitpunkt noch nicht geändert worden war und auch die Entscheidung des rumänischen Verfassungsgerichts vom 15.07.1994, durch die die Verfassungswidrigkeit der bisherigen Fassung des Art. 200 festgestellt wurde, noch nicht vorlag.

Es ist auch nicht ersichtlich, dass der Antragsteller und sein deutscher Partner ihre Lebensgemeinschaft außerhalb des Bundesgebietes zu führen vermögen. Dies gilt insbesondere deshalb, weil sich die wirtschaftliche Existenzgrundlage des deutschen Partners - und damit diejenige der Lebensgemeinschaft - in Deutschland befindet. Die Verbindung zur Bundesrepublik Deutschland ist somit auch wesentlich für den Bestand der Beziehung zwischen dem Antragsteller und seinem deutschen Partner. Hieraus folgt auch, dass das Privatleben der Partner im Bundesgebiet fest verankert ist. Es liegen ferner keine Anhaltspunkte dafür vor, dass zwischen den Partnern der gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft nur eine lose Beziehung besteht.

Darüber hinaus ist eine Abschiebung des Antragstellers aus rechtlichen Gründen deshalb unmöglich, weil die Führung einer gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft auch von dem Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG umfasst ist und dieser tangiert wird, wenn - wie im vorliegenden Fall - die Lebensgemeinschaft nicht außerhalb des Bundesgebiets geführt werden kann.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 13 Abs. 1 Satz 2, 20 Abs. 3 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 25 Abs. 3 Satz 2 GKG).
 
 


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