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Homosexualität 2004: Rückblick und Ausblick

von Manfred Bruns, Sprecher das LSVD

Inhalt:

  1. Die fünfziger und sechziger Jahre
  2. Die siebziger Jahre
  3. Die achtziger Jahre
  4. Die neunziger Jahre
  5. Das Lebenspartnerschaftsgesetz und das Urteil des Bundesverfassungsgerichts
  6. Die weitere politische Arbeit
  7. Ist ein Rückfall in die fünfziger und sechziger Jahre denkbar?

Die Bundesrepublik Deutschland hat sich seit ihren Anfängen 1949 in vielen Bereichen wesentlich verändert. Das gilt in ganz besonderem Maße für die gesellschaftlichen Moralvorstellungen und die Einstellung der Gesellschaft zur Homosexualität.

1. Die fünfziger und sechziger Jahre

Die Bundesrepublik verstand sich zunächst nicht als pluralistische Demokratie, sondern als Staat, der sich den Wertvorstellungen der beiden großen Kirchen verpflichtet fühlte. Demgemäß galt in den fünfziger Jahre das christliche Moralgebot, dass Sexualität nur in der Ehe stattfinden dürfe, ganz unangefochten. Vor- und nachehelicher Sex sowie „ehebrecherische" Beziehungen galten als unsittlich und waren streng verpönt. Wer dagegen verstieß, wurde sozial geächtet und unter Umständen sogar bestraft. Die Kirchen und der Staat betrachteten die „Wahrung der Sittlichkeit" als ihre gemeinsame Aufgabe. Deshalb sicherte der Staat die sittlichen Forderungen der Kirchen durch seine Strafgesetze ab. So wurde z.B. das Zusammenleben nichtehelicher Paare durch die Strafvorschriften über die Kuppelei pönalisiert. Aus diesem Grund konnte damals kein Hotelier oder Vermieter einem unverheirateten Paar ein Zimmer oder eine Wohnung vermieten, ohne sich strafbar zu machen.

Homosexualität gilt nach christlich abendländischer Vorstellung als unsittlich und strafwürdig. Deshalb sind die Homosexuellen nach dem Inkrafttreten des Grundgesetzes zwei Jahrzehnte lang unbarmherzig verfolgt worden. Die junge Bundesrepublik hat die nationalsozialistische Verfolgung der Homosexuellen bruchlos fortgesetzt. Die von den Nazis verschärften Strafvorschriften wurden beibehalten und ebenso exzessiv angewandt. Homosexuelle, die die nationalsozialistischen Konzentrationslager überlebt hatten, wurden zur Fortsetzung der Strafverbüßung wieder eingesperrt. Man setzte - wie zu Zeiten der Nationalsozialisten - alles daran, die Homosexuellen aufzuspüren und „unschädlich" zu machen. Wenn jemand auffiel, durchkämmte man seinen gesamten Bekanntenkreis. Die Strafen für überführte Homosexuelle waren gnadenlos hoch. Die Verurteilung bedeutete für sie zugleich den sozialen Tod. Nicht wenige Homosexuelle, die die Verfolgung der Nazis überlebt hatten, sind in den fünfziger Jahren aus Verzweiflung über diese Verfolgungspraxis freiwillig aus dem Leben geschieden.

Die strafrechtliche Verfolgung der Homosexuellen dauerte bis in die sechziger Jahre hinein an. Erst die sogenannte sexuelle Revolution bewirkte eine Änderung des öffentlichen Bewusstseins mit der Folge, dass dem Staat auf diesem Gebiet die Befugnis abgesprochen wurde, die „sittliche Ordnung" mit den Mitteln des Strafrechts zu verteidigen. Er sollte nur noch bei sozialschädlichen Handlungen strafen dürfen. Deshalb wurde die Strafbarkeit homosexueller Handlungen unter Erwachsenen in der DDR 1968 und in der Bundesrepublik 1969 aufgehoben. Die Sprecher aller im Bundestag vertretenen Parteien betonten aber bei der Verabschiedung des Gesetzes, dass damit homosexuelles Verhalten nicht gebilligt werde, sondern dass es nach wie vor moralisch verwerflich sei.


2. Die siebziger Jahre

Wegen dieses Makels der Unsittlichkeit war das Leben der Lesben und Schwulen in den siebziger Jahren noch immer sehr schwierig. Man brauchte zwar nicht mehr zu befürchten, dass die Polizei vor der Tür stehen könnte, wenn es unerwartet klingelte. Auch war es jetzt sehr viel einfacher, andere Lesben und Schwule zu treffen oder lesbische und schwule Zeitungen zu beziehen, aber ein offenes Zusammenleben als Paar war in der Regel nicht möglich. Ein Coming Out war noch immer existenzgefährdend. In den neu entstehenden Schwulengruppen engagierten sich deshalb fast nur Studenten. Die Aktionen dieser Gruppen wurden von den Behörden stark behindert. Dazu beriefen sich die Behörden auf den fortbestehenden § 175 StGB, der einvernehmliche homosexuelle Kontakte mit jungen Männern mit Strafe bedrohte, während einvernehmliche heterosexuelle Kontakte mit jungen Mädchen straffrei waren. Unter Berufung auf diese Sondervorschrift wurden z.B. Infostände von Schwulen mit der Begründung verboten, dass das Infomaterial die Jugend gefährden könne.


3. Die achtziger Jahre

Einen ganz wesentlichen Fortschritt brachte dann die AIDS-Debatte in den achtziger Jahren. Die Schwulen erkannten früh die mit Aids verbundenen Gefahren und reagierten darauf in großer Solidarität. Sie schufen binnen kurzem ein breites Netz von Selbsthilfegruppen. Das führte bei vielen der Aktivisten zum Coming public. Dadurch begannen die Behörden sich daran zu gewöhnen, mit Männern zu verhandeln, die offen als Schwule auftraten.

Die allgemeine Furcht vor AIDS wurde damals von einem Teil der Ärzte-Funktionäre und von Scharfmachern aus Bayern so instrumentalisiert, dass die Debatte zeitweilig hysterische Züge annahm. Sie bewirkte aber auch, dass nun zum ersten Mal in aller Öffentlichkeit und abends zur Hauptsendezeit des Fernsehens darüber diskutiert wurde, wie Schwule leben und wie sie sexuell mit einander umgehen. Der Ausgang dieser AIDS-Debatte ist, so meine ich, der erste große Erfolg der Schwulen im vergangenen Jahrhundert. Durch ihren engagierten, intelligenten und solidarischen Einsatz ist es gelungen, in der Bundesrepublik eine tolerante, menschliche und vernünftige AIDS-Politik zu etablieren.

Als Folge der AIDS-Debatte fiel in den achtziger Jahren das Stigma der Unsittlichkeit. Der Bundesgerichtshof urteilte damals, es könne heute nicht mehr festgestellt werden, dass das Zusammenleben unverheirateter Personen gleichen oder verschiedenen Geschlechts als sittlich anstößig empfunden werde. Das Zusammenleben stehe deshalb als Ausfluss der allgemeinen Handlungsfreiheit unter dem Schutz des Grundgesetzes. Das hat inzwischen auch das Bundesverfassungsgericht anerkannt. Außerdem hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschieden, dass das von der Europäischen Menschenrechtskonvention garantierte Recht auf Achtung des Privatlebens auch das Zusammenleben gleichgeschlechtlicher Menschen schützt und dass deshalb die Bestrafung von einvernehmlichen homosexuellen Handlungen zwischen Erwachsenen menschenrechtswidrig ist.


4. Die neunziger Jahre

Aufgrund dieses Einstellungswandels konnten Lesben und Schwule nun offen als Paar zusammenleben. Das führte natürlich zu der Frage, warum Lesben und Schwulen eine Heirat weiterhin verwehrt wird. Die Forderung nach Öffnung der Ehe für Lesben und Schwule löste unter ihnen heftige Debatten aus.

Die Gegner der "Homo-Ehe" argumentierten, dass die Ehe überholt und dass es kontraproduktiv sei, ihre Ausdehnung auf Lesben und Schwule statt ihre Abschaffung zu fordern. Außerdem sei die Ehe das Instrument des Patriarchats zur Unterdrückung der Frau, und es bestehe die Gefahr, dass es bei den Lebensgemeinschaften der Lesben und Schwulen zu ähnlichen Strukturen und Abhängigkeitsverhältnissen komme.

Die Befürworter der "Homo-Ehe" bestritten die Reformbedürftigkeit der Ehe nicht, sondern machten geltend, dass sich die Reform des Eherechts noch lange hinziehen werde und dass man mit der Durchsetzung der Gleichberechtigung nicht so lange warten wolle. Lesben und Schwule sollten sich genauso wie Heterosexuelle frei entscheiden können, ob sie mit hoher Verbindlichkeit in der Ehe oder weniger verbindlich in nichtehelicher Lebensgemeinschaft zusammenleben wollen.

Heute wird das Projekt "Lebenspartnerschaft" von der ganz überwiegenden Mehrheit der Lesben und Schwulen als "Gleichstellungs- und Antidiskriminierungsprojekt" begriffen und bejaht und zwar ganz unabhängig davon, ob die Betroffenen eine Lebenspartnerschaft eingehen wollen oder nicht.

In der allgemeinen Öffentlichkeit kreiste die Diskussion fast ausschließlich um die Frage, ob und inwieweit Art 6 Abs. 1 GG die Schaffung eines neuen Rechtsinstituts für Lesben und Schwule zulässt. Auch die Vertreter der Kirchen beriefen sich in der öffentlichen Diskussion nicht mehr auf „Gottes Gebot" oder auf „Aussagen der Bibel", sondern nur noch auf den besonderen Schutz von Ehe und Familie durch Art 6 Abs. 1 GG, um ihre Ablehnung zu begründen. Das zeigt, dass die Bundesrepublik auf dem Weg zu einem pluralistischen Gemeinwesen schon ein gutes Stück vorangekommen ist.

Die allgemeine Zustimmung zur "Homo-Ehe" nahm im Verlauf der Jahre immer mehr zu. Während sie 1992 bei der "Aktion Standesamt" noch bei rund 30 % lag, liegt sie heute bei 60 %. Außerdem hat die Debatte um die „Homo-Ehe" wesentlich dazu beigetragen, dass die Mehrheit der Bevölkerung inzwischen eine konkrete Vorstellung davon hat, in wie vielen Lebensbereichen Lesben und Schwule noch immer diskriminiert sind.


5. Das Lebenspartnerschaftsgesetz und das Urteil des Bundesverfassungsgerichts

Mit dem Lebenspartnerschaftsgesetz und dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 17.07.2002 ist diese positive Entwicklung offiziell festgeschrieben worden.

Kern des Streites, den das Bundesverfassungsgericht entschieden hat, war das sogenannte "Abstandsgebot", das von den Juristen aus Art. 6 Abs. 1 GG abgeleitet wurde. Die Vorschrift lautet: "Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung." Daraus hatte das Bundesverfassungsgericht gefolgert, dass die Ehe gefördert werden muss und die Ehefreudigkeit nicht beeinträchtigt werden darf. Deshalb dürfen eheähnliche Lebensgemeinschaften verschiedengeschlechtlicher Partner nicht mit den gleichen Rechten ausgestattet werden wie Ehen, weil sonst die Leute nicht mehr heiraten; zwischen den eheähnlichen Lebensgemeinschaften und den Ehen muss rechtlich ein „Abstand" bestehen. Diesen Grundsatz hatten die Konservativen einfach auf gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften übertragen. Wir hatten dagegen gehalten, dass dieser Grundsatz für uns nicht gelte, weil unsere Partnerschaften nicht mit der Ehe konkurrieren.

Da Art. 6 Abs. 1 GG von einem "besonderen" Schutz spricht, hatten die Konservativen außerdem argumentiert, dass die Ehe nichts Besonderes mehr sei, wenn der Gesetzgeber für Lesben und Schwulen ein weitgehend ähnliches Rechtsinstitut schaffe. Wir hatten dem entgegengehalten, dass die Ehe schon deshalb immer etwas Besonderes sei, weil nur sie verfassungsrechtlich geschützt sei. Außerdem ermächtige Art. 6 Abs. 1 GG den Gesetzgeber, die Ehe unter Außerachtlassung des Gleichheitssatzes besonders zu begünstigen.

Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts sind die Lesben und Schwulen nach fast 53 Jahren endlich als vollwertige, gleichberechtigte Bürger der Bundesrepublik anerkannt worden. Die Konservativen können jetzt nicht mehr damit argumentieren, dass die Lebenspartnerschaft die Ehe gefährde. Das Urteil erleichtert deshalb unsere weitere politische Arbeit sehr und ist für die klagenden Länder Bayern, Sachsen und Thüringen ein ausgesprochener Rohrkrepierer. Ihnen sind mit dem Urteil alle Argumente gegen eine Gleichstellung der Lebenspartner mit Ehegatten abgeschnitten worden bis auf das Neid-Argument, das die Gleichstellung zu viel koste.


6. Die weitere politische Arbeit

Wenn man sich vergegenwärtigt, dass wir die Öffnung der Ehe für Lesben und Schwule erstmals 1989 gefordert haben, ist der Erfolg, den wir nach nur 13 Jahren errungen haben, beeindruckend. Aber es wäre verkehrt, jetzt die Hände in den Schoß zu legen und sich mit dem Erreichten zufrieden zu geben.

Der Gesetzgeber hat beim Lebenspartnerschaftsgesetz aus – wie wir jetzt wissen – unbegründeter Angst vor dem Bundesverfassungsgericht viele tatsächliche und angebliche Unterschiede eingebaut, die die Lebenspartner grundlos benachteiligen und Rechtsunsicherheit zur Folge haben. Außerdem weist das Gesetz eine Reihe handwerklicher Mängel auf, die die Rechtsunsicherheit verstärken. Das muss unbedingt geändert werden.

Der zustimmungsbedürftigen Teil des Gesetzes, das Lebenspartnerschaftsgesetzergänzungsgesetz (LPartGErgG), hat im Bundesrat nicht die erforderliche Mehrheit gefunden. Daraufhin hat der Bundestag den Vermittlungsausschuss angerufen. Dieser hat am 07.02.2001 beschlossen, dass eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe erkunden soll, bei welchen Einzelpunkten eine Einigung mit der Opposition möglich ist. Die CDU/CSU hat diese Arbeitsgruppe boykottiert. Deshalb konnte das Gesetz in der vergangenen Legislaturperiode nicht verabschiedet werden. Lebenspartner werden infolgedessen im Steuerrecht, im Beamtenrecht (Besoldung und Pension) und in einigen anderen wichtigen Bereichen noch wie Ledige behandelt.

SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart: "Auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wird die Regierungskoalition das Lebenspartnerschaftsgesetz überarbeiten und ergänzen (Lebenspartnerschafts-Ergänzungsgesetz)."

Aber solche Vereinbarungen und Ankündigungen werden nur umgesetzt, wenn wir als Betroffene das immer wieder einfordern. Das haben wir in der letzten Legislaturperiode lernen müssen. Wir haben uns daher in dieser Wahlperiode ganz darauf konzentriert, die Koalitionsparteien zum Handeln zu bewegen.

Damit hatten wir jetzt endlich Erfolg. Die Koalitionsparteien haben den Entwurf eines Gesetzes zur Überarbeitung des Lebenspartnerschaftsrechts (Bundestags-Drucksache 15/3445 - PDF-Dokument - 774 KB) vorgelegt. Die Erste Lesung des Entwurfs (Plenarprotokoll 15/119 - PDF-Dokument - 298 KB) hat am 02.07.2004 -stattgefunden. Eine Bewertung des Entwurfs findet Ihr hier.

Mit dem Überarbeitungsgesetz soll als erster Schritt die Gleichstellung in den Bereichen vorangetrieben werden, die nicht der Zustimmung des Bundesrates unterliegen.

Im Herbst soll mit der Einbringung eines aktualisierten Ergänzungsgesetzes ein neuer Anlauf in Richtung Bundesrat gestartet werden. Dieses soll dann die zustimmungspflichtigen Elemente enthalten, z.B. die Anerkennung der Lebenspartnerschaft im Steuerrecht und bei den zustimmungspflichtigen Vorschriften über die Beamtenbesoldung (Familienzuschlag, Pension).

Das größte Problem beim Ergänzungsgesetz wird wieder sein, welche Haltung die CDU/CSU zum Lebenspartnerschaftsgesetz einnimmt und ob sie das Gesetz wieder über den Bundesrat blockieren kann. Insoweit hilft uns auch das europäische Recht. Viele Diskriminierungen von Lebenspartnern hätten aufgrund der Richtlinie 2000/78/EG bis zum 02.12.2003 beseitigt werden müssen. Dazu zählt z.B. die Einbeziehung der Lebenspartner in die Beamtenversorgung, da die Beamtenpensionen europarechtlich als "Entgelt" angesehen werden, bei dem eine Diskriminierung wegen der sexuellen Ausrichtung verboten ist. Wir haben deshalb versucht, der Politik mit Hilfe von (Muster-) Prozessen Beine zu machen, weil die Richtlinie nicht fristgemäß umgesetzt worden ist. In weiteren Prozessen geht es um die steuerliche Gleichstellung der Lebenspartner. Die jetzige Diskriminierung der Lebenspartner im Steuerrecht widerspricht dem Grundgesetz.

Mit den Prozessen hatten wir beim Bundesarbeitsgericht Erfolg. Aufgrund eines Urteils des Bundesarbeitsgerichts vom 29.04.2004 müssen die Arbeitgeber Lebenspartner in allen Bereichen mit Ehegatten gleichstellen.

Mit Ausnahme von Berlin haben die Bundesländer ihr Landesrecht noch nicht an das Lebenspartnerschaftsgesetz angepasst. Lebenspartner werden in den Landesgesetzen durchweg noch wie Fremde behandelt. Wir drängen hier ebenfalls auf eine möglichst baldige Gleichstellung mit Ehegatten.


7. Ist ein Rückfall in die fünfziger und sechziger Jahre denkbar?

Besorgte Lesben und Schwulen fragen immer wieder, ob unsere emanzipatorischen Erfolge von Dauer sein werden oder ob auch ein Rückfall in die fünfziger und sechziger Jahre denkbar ist.

Üblicherweise wird in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass der mit der Strafrechtsreform befasste Ausschuss des Reichstages 1929 mehrheitlich für die Abschaffung des § 175 RStGB gestimmt hat und dass nur fünf Jahre später die Nationalsozialisten den § 175 RStGB verschärft und die Homosexuellen in die KZs verschleppt und umgebracht haben.

Es lässt sich natürlich nicht mit absoluter Sicherheit ausschließen, dass sich so etwas wiederholt. Aber ich halte das aus folgenden Gründen für unrealistisch:

  1. In den vergangenen fünfzig Jahren ist es rechtsradikalen Gruppierungen zwar immer mal wieder gelungen, mit einem hohen Stimmenanteil in einen Landtag einzuziehen. Aber sie haben sich nie dort halten können, weil die Presse ihre populistischen Thesen sehr bald als hohles Geschwätz entlarvt hat. Eine solche Demontage haben wir zuletzt bei der Schill-Partei in Hamburg mit erlebt. Das unterscheidet die Bundesrepublik sehr wesentlich von Weimar.
     
  2. Aufgrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte könnte die Bundesrepublik nur nach einer Änderung des Grundgesetzes und nach Aufkündigung der Europäischen Menschenrechtskonvention zu den Zuständen in den fünfziger und sechziger Jahren zurückkehren. Das ist eine sehr hohe Hürde.
     
  3. Das Verbot der Diskriminierung wegen der sexuellen Ausrichtung ist inzwischen im Recht der Europäischen Union verankert und für die Bundesrepublik bindend. Sie kann es nicht einfach missachten, sondern müsste aus der Europäischen Union ausscheiden. Das erscheint so gut wie ausgeschlossen.
     
  4. Die Lebenspartnerschaften sind schon jetzt ein selbstverständlicher Teil unserer gesellschaftlichen Wirklichkeit. Je mehr Lesben und Schwule eine Lebenspartnerschaft eingehen, desto „normaler" wird dieser Vorgang werden, und desto mehr Lesben und Schwulen werden als Bürger wie Du und ich wahrnehmbar. Das wird zu einer Normalisierung beitragen. So ist die Entwicklung auch in Dänemark verlaufen. Dort sind vor der Einführung der „Registrierten Partnerschaft" sowohl von den Konservativen als auch von einzelnen Lesben und Schwulen gegen das Gesetz dieselben Einwände vorgebracht und dieselben Befürchtungen geäußert worden wie jetzt bei uns im Hinblick auf das Lebenspartnerschaftsgesetz. Alle diese damals in Dänemark geäußerten Einwände und Befürchtungen haben sich als unbegründet erwiesen. Deshalb haben inzwischen auch die damaligen Gegner nichts mehr gegen das Gesetz einzuwenden.
     
  5. Die Bundesrepublik könnte natürlich das Lebenspartnerschaftsgesetz wieder aufheben, aber nur für die Zukunft. Den bereits verpartnerten Paaren könnte dieser Status nur nach einer Grundgesetzänderung wieder entzogen werden.

Ich denke deshalb, dass wir einen Rückfall in die fünfziger und sechziger Jahre nicht zu befürchten brauchen. Vorstellbar erscheint mir höchstens, dass eine homofeindliche Regierung alle öffentlichen Mittel für lesbische und schwule Projekte streicht und die lesbische und schwule Subkultur durch Schikanen zu behindern und zu zerstören versucht. Aber auch das wird sich aufgrund unserer föderalen Struktur wahrscheinlich nicht bundesweit durchsetzen lassen.


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