16.4
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Das Transsexuellengesetz ist am
1. Januar 1981 in Kraft getreten [als Folge der
Entscheidung BVerfGE 49, 286]. Danach haben
Transsexuelle zwei Möglichkeiten: Sie
können vom Amtsgericht ihren bisherigen
Vornamen in einen Vornamen des anderen Geschlechts
ändern ("kleine Lösung", §§ 1
bis 7 TSG) oder vom Amtsgericht feststellen lassen,
dass sie als dem anderen Geschlecht zugehörig
anzusehen sind ("große Lösung",
§§ 8 bis 12 TSG).
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16.5
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Die Änderung des Vornamens
und die Feststellung der Zugehörigkeit zum
anderen Geschlecht setzen nach §§ 1 Abs.
1, 8 Abs. 1 Nr. 1 TSG voraus,
- dass sich die
Antragsteller dem anderen Geschlecht
zugehörig fühlen und seit mindestens
drei Jahren unter dem Zwang stehen, dieser
Vorstellung entsprechend zu leben
und
- dass sich dieses
Zugehörigkeitsgefühl mit hoher
Wahrscheinlichkeit nicht mehr ändern
wird.
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16.6
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Die Antragsteller brauchen nicht
unbedingt schon drei Jahre lang als Angehörige
des anderen Geschlechts gelebt zu haben. Sie
müssen nur unter dem Zwang dazu gestanden
haben. Um das zu belegen, müssen die
Antragsteller aber objektiv wahrnehmbare
Verhaltensweisen, Äußerungen, Reaktionen
usw. vortragen, aus denen geschlossen werden kann,
dass sie einfach nicht anders können und ihr
Entschluss endgültig ist.
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16.7
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Transsexuelle, die unter diesem
Zwang stehen, dürfen nicht entlassen werden,
weil sie beabsichtigen, sich einer
Geschlechtsumwandlung zu unterziehen, oder sich ihr
bereits unterzogen haben [EUGH, NJW 1996,
2421]. Sie haben auch schon vor der
Änderung ihres Vornamens Anspruch auf
Aushändigung der Dienstkleidung des anderen
Geschlechts [LAG Berlin, ARSt 1991, Nr.
9].
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16.8
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Das Amtsgericht muss vor seiner
Entscheidung zwei Sachverständige hören
(§ 4 TSG). Diese müssen in ihren
unabhängig voneinander zu erstattenden
Gutachten auch dazu Stellung nehmen, ob sich nach
den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft
das Zugehörigkeitsempfinden der Antragsteller
mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr ändern
wird.
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16.9
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Das Gesetz schreibt
außerdem sowohl für die
Vornamensänderung als auch für die
Feststellung der Zugehörigkeit zum anderen
Geschlecht ein Mindestalter von 25 Jahren vor.
Diese Altersgrenze ist vom Bundesverfassungsgericht
sowohl für die Feststellung der
Zugehörigkeit zum anderen Geschlecht
[BVerfGE 60, 123] als auch für die
Vornamensänderung [BVerfGE 88, 87]
für verfassungswidrig erklärt worden. Es
gilt nunmehr auch keine ersatzweise niedrigere
Altersgrenze. Auch Minderjährige können
ein Verfahren nach dem TSG in Gang bringen,
benötigen dafür jedoch wie für jedes
Gerichtsverfahren die Zustimmung ihrer gesetzlichen
Vertreter. Diese kann allerdings durch das
Vormundschaftsgericht ersetzt werden.
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16.10
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Das TSG gilt nur für
Deutsche und anerkannte Asylberechtigte. Andere
Ausländer und Ausländerinnen können
das TSG nicht in Anspruch nehmen, ganz gleich wie
lange sie schon in Deutschland leben. Es gibt auch
keine Sonderregelungen für
EU-Staatsangehörige. Sie können sich in
Deutschland geschlechtsumwandelnd operieren lassen
und soweit sie krankenversichert sind, muss die
Krankenkasse die Behandlungskosten übernehmen.
Die personenstandsrechtliche Feststellung der neuen
Geschlechtszugehörigkeit ist jedoch in
Deutschland nicht möglich.
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16.11
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Bereits mit der
Vornamensänderung haben Transsexuelle einen
Rechtsanspruch darauf, entsprechend der empfundenen
Geschlechtszugehörigkeit angeschrieben und
angeredet zu werden [BVerfG, NJW 1997,
1632]. Der europäische Reisepass ist
für Transsexuelle mit der kleinen Lösung
nicht brauchbar, da er zwingend einen Vermerk
über das Geschlecht enthält, das sich
durch die Vornamensänderung ja nicht
ändert. Deshalb muss Transsexuellen mit der
kleinen Lösung ein vorläufiger Reisepass
ohne Geschlechtsvermerk ausgestellt werden (§
4 Abs. 1 Satz 3 PassG). Der Personalausweis
enthält ohnehin keinen Geschlechtsvermerk. Auf
Antrag müssen die gesetzlichen Krankenkassen
und Rentenversicherungsträger Transsexuellen
mit der kleinen Lösung eine dem empfundenen
Geschlecht entsprechenden Versicherungsnummer
(Seriennummer) erteilen.
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16.12
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Da nach der
Vornamensänderung die alten Vornamen in der
Regel nicht ohne Zustimmung des Transsexuellen
offenbart werden dürfen (§ 5 TSG), sind
Transsexuelle bei Bewerbungen grundsätzlich
nicht verpflichtet, ihr biologisches Geschlecht zu
offenbaren [BAG, NJW 1991,
2723].
Mit der Vornamensänderung
haben Transsexuelle Anspruch auf Neuausstellung von
Zweitschriften/Erstausfertigungen ihrer Zeugnisse
auf die neuen Vornamen und die neue (empfundene)
Geschlechtszugehörigkeit. Dies gilt sowohl
gegenüber Arbeitgebern [LAG Hamm, DB 1999,
1610] als auch staatlichen Institutionen
(Schulen, Universitäten,
Prüfungsämtern usw.).
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16.13
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Für die Feststellung der
Zugehörigkeit zum anderen Geschlecht verlangt
das Gesetz zusätzlich (§ 8 Abs. 1 Nr. 2
bis 4 TSG), dass die Transsexuellen
- nicht verheiratet
sind. Anders als bei der "kleinen Lösung"
muss also eine bestehende Ehe vor der
Änderung der Geschlechtszugehörigkeit
aufgelöst sein. Wichtig ist, dass die
vorherige Auflösung der Ehe für die
Durchführung der geschlechtsumwandelnden
Operation jedenfalls von Gesetzes wegen nicht
erforderlich ist. Auch die Krankenkassen
dürfen die Kostenübernahme nicht mit
der Begründung "noch verheiratet"
ablehnen.
- dauernd
fortpflanzungsunfähig sind. Ein Verzicht
auf diese Voraussetzung ist auch dann nicht
möglich, wenn wegen gesundheitlicher
Risiken ein entsprechender Eingriff nicht
vorgenommen werden kann [OLG Hamm, MedR
1984, 146].
- sich einem ihre
äußeren Geschlechtsmerkmale
verändernden operativen Eingriff unterzogen
haben, durch den eine deutliche Annäherung
an das Erscheinungsbild des anderen Geschlechts
erreicht worden ist. Für
Frau-zum-Mann-Transsexuelle genügt die
Reduktion der Brüste. Weitere Eingriffe
sind zur Erfüllung dieser Voraussetzungen
nicht erforderlich [OLG Hamm, MedR 1984,
146; OLG Zweibrücken, NJW 1992, 760;
BayOblG NJW 1996, 791]
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16.14
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Auch für die "große
Lösung" sind zwei unabhängige Gutachten
erforderlich.
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16.15
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Steht lediglich die fehlende
operative Veränderung der äußeren
Geschlechtsmerkmale, die
Fortpflanzungsfähigkeit oder eine noch
bestehende Ehe der Änderung der
Geschlechtszugehörigkeit entgegen, kann der
Antrag trotzdem schon gestellt werden. Das
Amtsgericht stellt dann in seiner Entscheidung
fest, welche Voraussetzungen noch fehlen. Sind
diese Hindernisse ausgeräumt, erfolgt die
abschließende Entscheidung, bei der das
Amtsgericht an die Vorabentscheidung gebunden ist
(§ 9 TSG). Durch diese Regelung besteht z.B.
die Möglichkeit, die Scheidung einer
bestehenden Ehe erst dann zu betreiben, wenn
sichergestellt ist, dass danach der "großen
Lösung" nichts mehr im Wege steht.
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16.16
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Die Krankenkassen müssen
bei Geschlechtsumwandlungen die Kosten der
Behandlung und Operation bezahlen, wenn durch
entsprechende Gutachten belegt ist, dass die
Betroffenen aufgrund ihrer Transsexualität
einem Leidensdruck unterliegen, der nur durch
geschlechtsumwandelnde operative Eingriffe (und
nicht schon durch psychotherapeutische
Maßnahmen) behoben bzw. gelindert werden kann
[BSGE 62, 83]. Diese Grundsätze gelten
auch für andere öffentlich-rechtliche
Kostenträger wie z.B. den
Sozialhilfeträger oder die beamtenrechtliche
Beihilfe
Die privaten Krankenkassen sind
zur Kostenübernahme verpflichtet, wenn die
Voraussetzungen des § 1 oder 8 § TSG
vorliegen [BGH, VersR 1995,
447].
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16.17
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Rechtsanwälte und
Rechtsanwältinnen sind in aller Regel mit
dieser Spezialmaterie nicht vertraut. Deshalb
empfehlen wir Betroffenen:
Rechtsanwältin Maria Sabine
Augstein
Altes Forsthaus 12
D 82327 Tutzing
Tel. 08158-7809
Fax 08158-9811
Email: MariaSAugstein@aol.com
Sie hat die meisten der in
diesem Text erwähnten Grundsatzentscheidungen
erstritten
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16.17
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Reformbemühungen:
Siehe den Gesetzentwurf der "Projektgruppe Geschlecht und
Gesetz (PGG)": http://pgg.trans-info.de
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