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Urteil des Obersten Gerichtshof des US-Bundestaats Massachusetts vom 18.11.03

(Hillary Goodridge & others vs. Department of Public Health & another)

Die Weigerung der Behörden des Staates Massachusetts, gleichgeschlechtlichen Paaren die Zivilehe zu ermöglichen, stellt einen Verstoß gegen die Verfassung des Bundesstaates dar. So entschied diese Woche der Oberste Gerichtshof (Supreme Judicial Court) des Bundesstaates in einer Klage, die sieben gay und lesbische Paare gegen das für Familienangelegenheiten zuständige Department of Public Health geführt hatten. Auch wenn Personenstandsrecht in den USA "Ländersache" ist, so wird diese Entscheidung, die mit Spannung erwartet wurde und nicht überraschend kam, nationale rechtliche und politische Wirkung entfalten.

1. Der Supreme Judicial Court war aufgerufen, zu entscheiden, ob die Verfassung des Staates Massachusetts den Behörden des Staates das Recht gibt, gleichgeschlechtlichen Paaren die Zivilehe zu verweigern. Vier der sieben Richter - drei von ihnen von republikanischen Gouverneuren ernannt - verneinten dies. Das Gericht forderte den Congress von Massachussets auf, innerhalb von 180 Tagen ein Ausführungsgesetz zur Umsetzung dieser Entscheidung zu erlassen. Es ist jedoch zu erwarten, dass einige Städte bereits kurzfristig ihre Standesämter ermächtigen werden, gleichgeschlechtliche Ziviltrauungen durchzuführen. Cambridge hat dies bereits angekündigt.

2. Der vollständige Text des Urteils (Hillary Goodridge & others vs. Department of Public Health & another, November 18, 2003) ist auf der Website des Gerichts veröffentlicht http://www.state.ma.us/courts/courtsandjudges/courts/
supremejudicialcourt/goodridge.html. Das Gericht argumentiert wie folgt: Die Ehe ist eine entscheidende soziale Einrichtung, die exklusive Bindung zweier Menschen, die sich lieben und für einander Verantwortung tragen. Sie bringt Stabilität in die Gesellschaft. Ehe berechtigt zum Bezug finanzieller, rechtlicher und sozialer Vorteile; gleichzeitig sind die Ehepartner zu erheblichen rechtlichen, finanziellen und gesellschaftlichen Leistungen für sich selbst und ihre Kinder verpflichtet. Die Verfassung von Massachusetts gewährt allen Bürgern Würde und Gleichheit und verbietet dem Staat, Bürger zweiter Klasse zu schaffen. Die Verfassung enthält keine Bestimmung, die es zulassen würde, gleichgeschlechtlichen Paaren die Zivilehe zu verwehren. Das Gericht führt weiter aus: Die Freiheits- und Gleichheitsrechte der Verfassung des Bundesstaates schützen den Bürger vor einen ungerechtfertigtem Zugriff des Staates auf ihre Privatsphäre. Gleichzeitig ist dem Staat aber auch verwehrt, Bürger vom Genuss der von ihm für das Wohl der Gemeinschaft bereitgestellten Güter auszuschließen. Sich mit den Argumenten des beklagten Staates auseinandersetzend, stellt das Gericht fest: Es fehlt der Nachweis, dass das Verbot homosexueller Ehen zur mehr heterosexuellen führt. Auch gibt es keinen Zusammenhang zwischen Eherecht und Kindeswohl. Im Gegenteil, mehrere Antragsteller haben Kinder die sie in gleicher Weise lieben und großziehen wie heterosexuelle Paare. Nur wird ihnen dieses durch die Verwehrung der mit der Ehe verbundenen Vergünstigungen erheblich erschwert. Indem das Gericht das Verbot gleichgeschlechtlicher Eheschließung vergleicht mit einem - einst bestehenden - Verbot der Eheschließung von Partnern unterschiedlicher Rasse, spielt es auf den Wandel der Rechtsauffassung in der amerikanischen Gesellschaft an. Andererseits erkennt das Gericht an, dass das historische Rechtsverständnis der Ehe eine rechtliche Verbindung zwischen Mann und Frau ist. Allerdings, so heißt es in der Urteilsbegründung hierzu ".. history cannot and does not foreclose the constitutional question." Auch betont das Gericht, dass es über die verfassungsmäßigen Vorgaben für eine Zivilehe zu entscheiden habe, die völlig unabhängig von einer religiösen Zeremonie sei.

3. Im Minderheitsvotum werfen die unterlegenen Richter der Mehrheit vor, dass das Gericht seine Kompetenz überschritten habe, in dem es den Verfassungsrang des historischen Rechtsverständnisses, dass die Ehe eine Verbindung von Mann und Frau ist, bestreit. Über die Definition von Ehe zu entscheiden sei eine Aufgabe der Gesetzgebung und nicht der Rechtsprechung.

4. Homosexuelle und "Liberale" haben das Urteil begrüßt. Kritiker, sofern sie nicht "aus dem Bauch heraus" argumentieren, werfen dem Gericht vor, mit einer Wertentscheidung zum innenpolitisch umstrittenen gesellschaftlichen Wertewandel eine Kompetenz usurpiert zu haben, die den gesetzgebenden Körperschaften zusteht.

5. Der Gouverneur, der republikanische Gouverneuer Mitt Romney, sich auf ein dreitausend Jahre altes Rechtsverständnis vom Institut der Ehe berufend, hat zugesagt, die Vorgaben des Gerichts im Zusammenwirken mit den gesetzgebenden Körperschaften zu erfüllen, gleichzeitig aber auf eine Volksabstimmung über eine Verfassungsänderung hinzuarbeiten, die die Ehe gleichgeschlechtlicher ausschließt. Allerdings kann das Wahlvolk von Massachusetts hierüber erst 2006 entscheiden, sofern sich der Congress des Staates in zwei aufeinanderfolgenden, jährlichen Legislaturperioden für eine solche Verfassungsänderung ausgesprochen hat.

6. Auf nationaler Ebene wird sich mittelfristig rechtlich gesehen die Frage stellen, ob andere Bundesstaaten eine in Massachusetts geschlossene Ehe Gleichgeschlechtlicher anerkennen müssen. Hiesige juristische Beobachter gehen davon aus, dass dieser Streit die Angelegenheit über kurz oder lang vor den Supreme Court bringen wird.

7. Es wird hier damit gerechnet, dass das Thema "Homo-Ehe" im Wahlkampf von den Republikanern als Argument gegen demokratische Kandidaten verwandt werden wird. John Kerry vertritt Massachussets, und John Dean hat als Gouverneur in Vermont ein Gesetz über die "civil union" unterzeichnet, die gleichgeschlechtlichen Paaren die gleichen Rechte einräumt wie heterosexuellen Ehepaaren. Kerry tritt für gleiche Rechte für homosexuelle Paare ein.

8. Die Frage, welche Rechte sollen gleichgeschlechtliche Paare erhalten, ist mit vielen politischen Unwägbarkeiten und sich in der Praxis widersprechenden Auffassungen belastet. Einerseits ist es für viele in diesem stark religiös geprägten Land undenkbar, dass eine Ehe etwas anderes ist als eine Verbindung von Mann und Frau. Andererseits ist es in einem Land, das Wert darauf legt, alle Bürger gleich zu behandeln und Minderheiten nicht zu benachteiligen, sondern Unterschiede der Rasse, Religion und sexuellen Orientierung offen und bejahend zur Kenntnis zu nehmen, schwer zu vermitteln, dass homosexuelle Paare benachteiligt werden sollen - Homosexuelle: eine Minderheit, die überwiegend weiß, gebildet und überdurchschnittlich wohlhabend ist und soziale Verantwortung zeigt.

 


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