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Beschluss des LSVD vom 05. Mai 2001

Das Verhältnis zu Lesben und Schwulen normalisieren

Fünf Forderungen an Staat und Gesellschaft

Schwule und Lesben haben Erfolge errungen. Gesellschaft, Politik, Behörden, Teile der Wirtschaft und viele Verbände sind auf dem Weg, ihr Verhältnis zu lesbischen und schwulen Lebensweisen zu normalisieren. Wir konnten bereits große Teile der Bevölkerung davon überzeugen, dass Gleichberechtigung für Schwule und Lesben eine Frage der Demokratie ist, die alle angeht. Langsam aber stetig geht es voran. Spektakulärster Ausdruck dafür ist die Eingetragene Lebenspartnerschaft. Bis 1969 war Homosexualität in der Bundesrepublik strafbar. Noch Mitte der 80er Jahre galt gleichgeschlechtliches Zusammenleben vor bundesdeutschen Gerichten als sittenwidrig. In der DDR wurde Homosexualität als Verstoß gegen die sozialistische Moral gewertet. Jetzt werden homosexuelle Lebensgemeinschaften in Deutschland erstmals familienrechtlich anerkannt. Das ist ein historischer Wendepunkt.

Der erbitterte Widerstand vieler konservativer Kräfte gegen diese Normalisierung zeigt aber: Von selbst geschieht nichts. Jeder Schritt musste und muss hartnäckig erkämpft werden. Es liegt an uns Lesben und Schwulen, hier weiterzukommen.

Immer mehr Menschen gelingt es, sich im Alltag als Schwuler oder als Lesbe Respekt zu verschaffen. Der Normalfall ist das aber nicht. Diskriminierung und Ausgrenzung sind nicht verschwunden. Vieles ist erreicht, am Ziel sind wir aber noch nicht angelangt. Gleiche Bürgerrechte sind längst nicht überall durchgesetzt. Im Alltag reagieren auch wohlmeinende Zeitgenossen auf Lesben und Schwule oft peinlich berührt und unsicher. Ängste, Vorurteile und Ignoranz sind noch weit verbreitet. Das wollen wir ändern. Wir wollen erreichen, dass Homosexualität nicht mehr als Problemfall angesehen wird, sondern vielmehr als selbstverständlicher Teil gesellschaftlicher Normalität.

In den vergangenen Jahren haben sich viele Transgender von den ihnen zugeschriebenen Klischees emanzipiert. Der Rest der Gesellschaft ist ihnen nicht oder nur teilweise auf diesem Wege gefolgt. Trotz der Einräumung einiger Rechte werden Transgender aber in vielen Bereichen weiterhin diskriminiert. Transgender kämpfen seit vielen Jahren mit zunehmenden Erfolg gegen diese Diskriminierung und für die Anerkennung ihrer "anderen" Geschlechtsrollen. Es bleibt aber noch viel zu tun.

Der Lesben- und Schwulenverband (LSVD) stellt für die nächsten Jahre fünf Ziele in das Zentrum seiner politischen Arbeit:

1. Gleichstellung von Lebenspartnerschaften vollenden

Das Lebenspartnerschaftsgesetz ist ein großer Sprung nach vorne für die Bürgerrechte von Schwulen und Lesben. Volle Gleichstellung bringt es aber nicht.

  • Der LSVD wird dafür kämpfen, dass die noch fehlenden Elemente ebenfalls ins Bundesgesetzblatt gelangen. Unser Ziel ist die volle Gleichstellung. Es gibt keine sachliche Begründung, warum schwule und lesbische Lebensgemeinschaften anders behandelt werden sollten als heterosexuelle. Wir wollen gleiche Rechte auf dem Standesamt.
  • Neben dem Bundesgesetzgeber sind auch die Länder aufgefordert, in ihren Gesetzen, Verordnungen und Verwaltungsvorschriften Lebenspartnerschaften umfassend anzuerkennen. Das gilt ebenso für die Kommunen.
  • Transgender, die ihren Vornamen entsprechend dem Transsexuellengesetz geändert haben, unterliegen zur Zeit einem faktischen Heiratsverbot. Auch ihr Recht auf Eingehung einer Eingetragenen Lebenspartnerschaft ist noch nicht sichergestellt. Der LSVD setzt sich dafür ein, dass auch Transgender eine rechtlich abgesicherte Partnerschaft mit dem Partner/der Partnerin ihrer Wahl eingehen können. Dies soll im Rahmen der ohnehin notwendigen Neufassung des Transsexuellengesetzes erfolgen, die der LSVD unterstützt.
  • Der LSVD setzt sich dafür ein, dass eingetragene Lebenspartnerschaften im Arbeitsleben über Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen wie Ehepaare behandelt werden.
  • Auch für die Versorgungswerke der freien Berufe fordern wir die Gleichstellung von Lebenspartnerschaften.
  • Wir appellieren an Wirtschaft und Dienstleister, Lebenspartnerinnen und Lebenspartnern die gleichen Konditionen wie Eheleuten zu gewähren, z.B. nach dem Vorbild der Partner-Bahncard bei der Deutschen Bahn.

2. Familie neu denken

Familie ist, wo Kinder sind. Viele Lesben und Schwule leben mit Kindern, tragen Verantwortung für deren Erziehung und Wohlergehen.

  • Lesbische oder schwule Elternpaare haben ein Recht auf volle Anerkennung als Familie. Dazu gehört auch ein gemeinsames Sorgerecht für die Kinder sowie alle daraus entstehenden Rechte und Pflichten.
  • Unter den gleichen Voraussetzungen wie für Ehepaare muss auch für Eingetragene Lebenspartnerschaften die sogenannte "Stiefkindadoption" ermöglicht werden.
  • Es gibt keinen sachlichen Grund, Menschen wegen ihrer Homosexualität vom Adoptionsrecht auszuschließen. Es ist ohnehin selbstverständlich, dass bei Lesben und Schwulen - genauso wie bei Heterosexuellen - in jedem Einzelfall zu prüfen ist, ob die Adoption dem Kindeswohl dient. Solange man das Adoptionsrecht verweigert, wird das Vorurteil geschürt, Lesben oder Schwule seien nicht fähig zur Kindererziehung. Der LSVD setzt sich zudem für ein gemeinsames Adoptionsrecht für Eingetragene Lebenspartnerschaften ein.
  • Immer mehr Lesben entscheiden sich dafür, einen Kinderwunsch zu realisieren. Oft sind Schwule als Samenspender und auch als soziale Väter beteiligt. Bisher gibt es für alleinlebende Frauen oder lesbische Paare kein eigenständiges Inseminationsrecht. Diese Diskriminierung wollen wir beseitigen. Das Recht auf Familiengründung muss für alle gelten.

3. Antidiskriminierungsgesetz durchsetzen

Viele Länder in Europa haben bereits Antidiskriminierungsgesetze zum Schutz von Minderheiten erlassen. In Deutschland fängt dieser Prozess gerade erst an.

  • Wir fordern ein umfassendes Antidiskriminierungsgesetz, das Benachteiligungen aufgrund der ethnischen Herkunft oder einer Behinderung ebenso angeht wie die Diskriminierung von Lesben, Schwulen und Transgendern. Das gilt auch für die Gesetzgebung der Länder.
  • Die Europäische Union hat im November 2000 eine Richtlinie zur Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf ohne Ansehen der ethnischen Herkunft, der Religion oder Weltanschauung, Behinderung, des Alters und der sexuellen Ausrichtung beschlossen. Die Richtlinie schreibt eine Aufhebung aller Bestimmungen vor, die direkt oder indirekt diskriminierend wirken. Vorgesehen sind zudem ein Verbandsklagerecht, eine Beweislastverschiebung ähnlich wie bei der Geschlechterdiskriminierung sowie die Einführung von Sanktionen, die "wirksam, verhältnismäßig und abschreckend" sind. Wir setzen uns dafür ein, dass diese EU-Richtlinie zügig in nationales Recht umgesetzt wird. Das gleiche gilt für die EU-Richtlinie gegen Diskriminierung aufgrund der ethnischen Herkunft.
  • Mit der Aufnahme eines ausdrücklichen Diskriminierungsverbotes aufgrund der "sexuellen Identität" in den Regierungsentwurf zum Betriebsverfassungsgesetz ist ein guter Anfang gemacht. Die weiteren Gleichbehandlungsklauseln im Arbeitsrecht sowie im Beamten- und Soldatenrecht müssen entsprechend ergänzt werden.
  • Es muss eine Selbstverständlichkeit sein, dass die Antidiskriminierungsgesetzgebung auch Transgender einschließt. Dies kann auch dadurch geschehen, dass Transgender explizit in das Verbot der Diskriminierung aufgrund der sexuellen Identität oder aber des Geschlechts einbezogen werden. Das gilt auch für die im europäischen Recht gebräuchliche Formel von der "sexuellen Ausrichtung".

4. Rechtsextremismus und Hassverbrechen entgegentreten

Von einer aufgeklärten, solidarischen und demokratischen Gesellschaft kann keine Rede sein, wenn Menschen befürchten müssen wegen ihrer ethnischen Herkunft, ihrer Hautfarbe, ihrer Behinderung oder ihrer sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität angegriffen zu werden. Das Grassieren rassistischer Gewalttaten und die Existenz sogenannter "national befreiter Zonen" sind für eine demokratische Gesellschaft ein unerträglicher Zustand. Auch für Schwule, Lesben und Transgender gibt es No-go-areas: Stadtteile oder Regionen, in denen sie es tunlichst vermeiden, als Lesbe, Schwuler oder Transgender erkannt zu werden, weil ihnen sonst Gefahr droht. Die Politik darf davor die Augen nicht länger verschließen.

  • Hassverbrechen gegen Minderheiten haben eine andere gesellschaftliche Wirkung als Gewalttätigkeiten bei einer Wirtshausschlägerei. Wir brauchen eine Offensive gegen Hassverbrechen.
  • Staatliche Programme zur Bekämpfung rechtsextremer und minderheitenfeindlicher Gewalt müssen gewährleisten, dass alle Gruppen, gegen die sich Hassverbrechen richten, einbezogen und angemessen berücksichtigt werden. Das gilt auch für Maßnahmen zur Opferhilfe.

5. Grundgesetz ergänzen

Die im Jahr 2000 proklamierte Grundrechte-Charta der Europäischen Union enthält ein ausdrückliches Verbot der Diskriminierung aufgrund der "sexuellen Ausrichtung". Im Grundgesetz sucht man eine entsprechende Bestimmung vergebens. Bislang hat sich im Bundestag keine ausreichende Mehrheit gefunden, auch Lesben, Schwulen und Transgender in der Verfassung einen ausdrücklichen Anspruch auf Gleichbehandlung zu garantieren. Das Grundgesetz hinkt damit der europäischen Verfassungsentwicklung hinterher.

  • Als langfristiges Ziel streben wir deshalb an, Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes um das Merkmal der "sexuellen Identität" zu ergänzen.
  • In Artikel 6 (Ehe, Familie, Kinder) muss klargestellt werden, dass alle selbstgewählten Lebensformen Anspruch auf Schutz vor Diskriminierung haben.

beschlossen auf dem LSVD-Verbandstag am 5. Mai 2001
 


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