Eddi Stapels Rede, die auf dem Verbandstag nur sehr verkürzt gehalten werden
konnte:
Volker Beck, Manfred Bruns und Günter Dworek
Zehn Jahre Mitglieder des LSVD-Bundesvorstandes
Liebe Freundinnen und Freunde,
als Günter Dworek vor einem Jahr, also auf dem Verbandstag 2000, als der (L)SVD
seinen 10. Geburtstag feierte, unsere Verdienste in der DDR um die Gründung des
SVD lobte, habe ich mich über die ehrenden Worte selbstverständlich sehr
gefreut.
In diese Freude mischten sich allerdings auch einige Zweifel: Sollte es wirklich
so sein, dass es ohne die Konzeption der Schwulen-Bewegung in der DDR als
Bürgerrechtsbewegung und ohne ihre Fortsetzung zunächst als "Schwulenverband in
der DDR" und - übrigens schon mit dem 23. Juni 1990 - als "Schwulenverband in
Deutschland" heute keinen dem LSVD ähnlichen Verband gebe?!
Sicher ist es richtig, dass es im Westen mit Euch Dreien und mit einigen wenigen
anderen nur eine schwache Kraft für eine solche Bürgerrechtsbewegung gab, wie
wir sie ab 1981 für die DDR entwickelt hatten. (Wenn dieser Text im Herbst 2001
im "Rundgespräch" erscheint, ist es also genau 20 Jahre her, dass das Programm
der DDR-Bewegung erstmals formuliert wurde. Und nur wenig später, am 26.
04.2002, jährt sich zum 20. Mal der Tag, an dem die entsprechende Organisation
zu diesem Programm, der kirchliche Arbeitskreis Homosexualität in Leipzig,
gegründet wurde.) Und es kann wohl auch als gesichert gelten, dass Ihr Wenigen
im Westen, speziell Ihr Drei, wegen Eures bürgerrechtlichen Ansatzes von Euren
Gegnern im Bundesverband Homosexualität (BVH) und in Anspielung auf Eure
baden-württembergische Herkunft als "Spätzle-Mafia" verschrien, so schnell wohl
nicht zu einem entsprechenden Verband gekommen wäret, hätten wir ihn nicht aus
der DDR ins vereinigte Deutschland mitgebracht.
Aber es bleiben meine Zweifel daran, dass eine ausreichend große Gruppe der
westdeutschen Schwulen und inzwischen ja auch der Lesben ohne unser
"Mitbringsel" auf Dauer ohne einen solchen Verband wie den LSVD hätten auskommen
müssen: Irgendwann, irgendwann wären wohl auch sie darauf gekommen...
Denn an einer lesbisch-schwulen BürgerInnenrechtspolitik und an einem
entsprechenden BürgerInnenrechts-Verband führt nicht nur in einem
sozialistischen Staat, sondern auch in einer westlichen Demokratie kein Weg
vorbei, weil es für Lesben und Schwule um die Gewährung ihrer Menschenrechte und
um ihre totale Gleichberechtigung geht - übrigens eine Vorstellung, an der es
bei den Verantwortlichen in der DDR-Bewegung von 1981 bis 1990 nie einen Zweifel
gab.
Deshalb rechne ich ganz stark damit, dass Ihr Wenigen im Westen, die Ihr ja dann
etwa 1987 ebenfalls zum Beispiel auf die rechtliche Gleichstellung
gleichgeschlechtlicher PartnerInnenschaften und somit auf die Öffnung der Ehe
für sie gekommen wart, wie Du, Manfred, vorhin gesagt hast, Euch auf längere
Sicht doch gegen Eure Gegner unter anderem im BVH hättet durchsetzen können.
Doch das ist durch die "Vereinigung andersrum" ja nun nicht mehr nötig gewesen.
Und diese "Vereinigung andersrum" wäre ihrerseits ohne Euch Wenige im Westen und
vor allen anderen ohne Euch Drei gar nicht möglich gewesen.
Zwar haben wir SVDler im Osten den Werbungen des BVH widerstanden, weil wir
meinten, ein Dachverband der Schwulen-Gruppen verschiedenster
schwulenpolitischer Couleur sei für den Austausch untereinander zwar nützlich,
aber für das Durchsetzen eines so umfassenden schwulenpolitischen Programms wie
des unseren wenig effektiv und sogar ungeeignet. Und wir haben nicht wie so
viele andere (Lesben und) Schwule im Osten auf die Kopie der Politik-Modelle,
der politischen Inhalte und der Organisationsstrukturen der westdeutschen
Lesben- und Schwulen-Bewegung der 70er und 80er Jahre gesetzt, sondern auf die
auch zukünftige Richtigkeit unserer damals schon fast 10 Jahre alten und
bewährten Arbeit vertraut.
Aber wir Ossis hätten es ohne Eure Hilfe - und hier meine ich vor allem und fast
ausschließlich Euch Drei, Volker, Manfred und Günter - nicht geschafft, den SVD
ins vereinte Deutschland hinüberzuretten - ganz zu schweigen von seinen Erfolgen
bis hin zum nun kommenden Lebenspartnerschaftsgesetz.
Wenn ich vorhin gesagt habe, ich hätte so meine Zweifel daran, dass es ohne uns
Ossis keinen BürgerInnenrechtsverband gebe, so habe ich also überhaupt keinen
Zweifel daran, dass es ihn nur durch Euer Engagement noch gibt. Ihr Drei habt
die "Vereinigung andersrum" aufgefangen, als sie zu kippen drohte, weil wir im
Osten seinerzeit nicht die Kraft hatten, unsere BürgerInnenrechtspolitik über
die deutsche Vereinigung hinüberzuretten. So ist es in der deutschen Vereinigung
zu etwas wohl Einmaligem gekommen, dass nämlich ein DDR-Programm fast
unverändert fortgeführt werden konnte.
Und wie sehr wurden wir damals vor Euch Dreien, also vor der "Spätzle-Mafia",
gewarnt! Und auch heute noch gibt es ja jede Menge Äußerungen in Ost und West,
die "Spätzle-Mafia" hätte uns ostdeutschen unsere Bewegung aus der Hand
genommen. In wenigen Wochen wird ein Buch erscheinen, das sogar von einer
"undemokratischen Okkupation" spricht (Günter Grau (Hrsg.): Schwulsein 2000.
Perspektiven im vereinigten Deutschland, Hamburg 2001, S. 163ff., insbes. S.
177/178). Allerdings sagen so etwas in der Regel Leute, die sich in der DDR kaum
an der Bewegung beteiligt haben und den (L)SVD seit seinem Bestehen nur aus der
Ferne kennen und ihn heute gern als ihr Frustrations-Objekt benutzen. Ohne ein
eigenes Programm vorzulegen, das lesben- und schwulenpolitische Träume auf das
in der Gegenwart Machbare herunterbricht, arbeiten sie sich an unserem Programm
und an unseren Erfolgen ab und scheuen dabei auch nicht vor Diffamierungen
zurück. Nein, wir haben 1991 schnell gesehen, wo wir am ehesten zu Hause sind
und dass nicht Ihr Drei, sondern die damaligen Warner und die heutigen
Beschimpfer die "Mafia" waren und sind. Und: Nicht Ihr habt uns die DDR-Bewegung
aus der Hand genommen. Stattdessen haben wir sie in Eure Hände legen können -
und waren und sind Euch sehr dankbar dafür. Habt Ihr uns doch die Arbeit
abgenommen, die wir nicht leisten konnten - unter anderem mit dem Erfolg, dass
auch wir unseren Weg beibehalten und fortsetzen konnten. Ohne Eure Unterstützung
würde es den LSVD heute sicher nicht mehr geben!
Und diese Unterstützung begann schon sehr früh, nämlich als ihr Beide, Volker
und Günter, beim 1. Verbandstag im Juni 1990 in Magdeburg bereits SVD-Mitglieder
wurdet - übrigens als Nr. 176 und 177; wir haben dann ein bisschen gemogelt und
Volker auf Nr. 175 gesetzt. In DIE ANDERE ZEITUNG (DAZ) hieß es damals:
"Wichtigster und folgenreichster Schritt von Magdeburg ist die Umbenennung des
Verbandes in ´Schwulenverband in Deutschland´, womit ohne den üblichen Weg der
Zwangsvereinigung Schwule die Einheit gestalten und ihre Traditionen aus der
Bürgerrechtsbewegung für Gesamtdeutschland einbringen wollen. Ein Weg, der Mut
und Kraft kostet, aber auch vor allem die beherzte Unterstützung der
bundesdeutschen Schwulenbewegung benötigt. Erste Zustimmung und auch Beitritte
konnte der SVD von bündnisgrünen Vertretern (gemeint sind Volker und Günter - E.
S.) erfahren."
Beim 2. Verbandstag Mitte Dezember 1990 scheint Ihr Drei Euch noch "geziert" zu
haben, im Verband Verantwortung zu übernehmen. In meinem Rechenschaftsbericht
des Bundessprecherrates auf diesem Verbandstag habe ich Euch zumindest indirekt
zu einer Kandidatur aufgefordert: "Bei den Neu- bzw. Nachwahlen zum
Bundessprecherrat sollte bedacht werden, dass bisher alle Sprecher aus der
ehemaligen DDR kommen und dass es nur günstig sein kann, wenn auch aus
Westdeutschland Sprecher kommen." Vielleicht war es zu dieser Zeit auch noch
Eure Skepsis, die ich meinte, als ich in eben diesem Rechenschaftsbericht auch
sagte: "Wir leben in einer Zeit ... in der im Westen noch kaum jemand von der
Richtigkeit und Wichtigkeit des SVD überzeugt werden kann." Aber offenbar hat
Euch denn doch mein Zukunftsbild überzeugt: "Auf die Dauer ist sicher damit zu
rechnen, dass eine nationale, mitgliederstarke, professionellere, weil gut
strukturierte Organisation effektiver arbeitet und deshalb größere Wirkungs- und
Überlebenschancen hat als andere Organisationen ... Und mit geduldigem
Engagement wahren wir unsere Chancen für eine gute Schwulenpolitik unter den
Schwulen und in Staat und Gesellschaft."
Denn schon ein halbes Jahr später, beim 3. Verbandstag am 22./23. Juni 1991 in
Leipzig, habt Ihr bei der Erweiterung des Bundessprecherrates kandidiert und
wurdet mit jeweils nur einer Gegenstimme gewählt, so dass Ihr jetzt genau 10
Jahre im Bundesvorstand seid. Zu diesem Jubiläum gratuliere ich Euch ganz
herzlich. Und als dienstältestes Mitglied des Bundesvorstandes darf ich mir
sicher das Recht nehmen, Euch im Namen aller LSVD-Mitglieder für Eure Arbeit
ebenso herzlich zu danken.
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