Bundessozialgericht
Preseeinformation
Kassel, den 17. Oktober 2002
Vorläufige Presse-Mitteilung Nr. 51/02
Der 7. Senat des Bundessozialgerichts berichtet vorläufig über das
Ergebnis der heute zu 2) verhandelten Revision:
Der Senat hat die Revision der BA zurückgewiesen.
Das LSG hat zutreffend entschieden, dass der Klägerin auch für den
streitigen Zeitraum vom 1.1.1997 bis 11.2.1997 ein Anspruch auf
Arbeitslosengeld (Alg) zustand. Eine Sperrzeit ist nicht eingetreten, weil
die Klägerin einen wichtigen Grund iS des § 119 Abs 1 AFG (jetzt § 144 Abs
1 SGB III) für die Aufgabe ihres Beschäftigungsverhältnisses durch
Kündigung des Arbeitsverhältnisses hatte. Die Klägerin lebte zum Zeitpunkt
des Umzugs und ihrer Eigenkündigung mit ihrem Partner in einer
nichtehelichen Lebensgemeinschaft, die nach den tatsächlichen
Feststellungen des LSG den rechtlichen Anforderungen an eine eheähnliche
Gemeinschaft im Rahmen des Sperrzeitenrechts genügt, die der Senat in den
Entscheidungen vom heutigen Tage konkretisiert (siehe unten). Der Senat
gibt damit die bisherige Rechtsprechung auf, nach der in keinem Fall ein
wichtiger Grund anerkannt werden konnte, wenn eine Beschäftigungsaufgabe
zum Zwecke der Aufrechterhaltung einer eheähnlichen Gemeinschaft erfolgte.
Den Arbeitslosen treffen dabei zunächst vorrangige Obliegenheiten, deren
Nichterfüllung die Berufung auf einen wichtigen Grund von vornherein
ausschließt. Der Arbeitslose muss zum einen alle zumutbaren Anstrengungen
unternommen haben, um den Versicherungsfall der Arbeitslosigkeit zu
vermeiden. Der Arbeitslose muss mithin rechtzeitige Eigenbemühungen um
einen Anschlussarbeitsplatz nachweisen, was hier der Fall war. Zum anderen
darf dem Arbeitslosen nicht ein Tagespendeln zu seiner bisherigen
Arbeitsstelle von der neuen gemeinsamen Wohnung aus zumutbar sein.
Die bisherige Rechtsprechung des BSG zur Arbeitsaufgabe zum Zwecke der
Fortsetzung einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft berücksichtigt nicht
hinreichend, dass § 119 AFG keinen wichtigen Grund mit Verfassungsrang und
keine bestimmten Verhaltenspflichten als Voraussetzung für einen wichtigen
Grund fordert. Wichtige Gründe können vielmehr alle - auch persönlichen
Gründe - der Lebensgestaltung sein, wenn sie bei der gebotenen Abwägung
mit den Interessen der Versichertengemeinschaft überwiegen und die
Hintanstellung dieser Gründe unzumutbar ist.
Dem steht Art 6 Abs 1 GG nicht entgegen. Diese Verfassungsnorm enthält
zwar positive Schutz- und Förderpflichten für die Ehe, aber gerade kein
Benachteiligungsgebot für nichteheliche und andere Lebensgemeinschaften.
Dies hat das BVerfG in seiner Entscheidung zum Lebenspartnerschaftsgesetz
vom 17.7.2002 nochmals ausdrücklich betont. Schließlich geht es bei der
Anwendung des § 119 AFG ( § 144 SGB III) auch nicht darum, ob die
eheähnliche Gemeinschaft ebenso zu fördern ist wie die Ehe, sondern
vielmehr darum, ob der Eingriff in den durch Beiträge erworbenen und
eigentumsgeschützten Anspruch (Art 14 Abs 1 GG) auf Alg im Falle des
Umzugs mit dem Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft stets und
ausnahmslos hinzunehmen ist. Hierbei kann nicht außer Acht gelassen
werden, dass das Arbeitsförderungsrecht jedenfalls Nachteile mit dem
Bestehen einer eheähnlichen Gemeinschaft verbindet. So werden gemäß § 137
Abs 2a AFG (jetzt § 193 Abs 2 SGB III bzw § 194 Abs 1 Nr 2 SGB III)
Einkommen und Vermögen eines eheähnlichen Partners zu Lasten des
Arbeitslosen bei der Bedürftigkeitsprüfung im Rahmen der Arbeitslosenhilfe
berücksichtigt. Das BVerfG hat diese - Partner einer eheähnlichen
Lebensgemeinschaft belastende - Regelung in seiner Entscheidung BVerfGE
87, 234, 267 ff nur dann für verfassungsrechtlich gerechtfertigt erachtet,
wenn die Bindungen der Partner so eng sind, dass von ihnen ein
gegenseitiges Einstehen in den Not- und Wechselfällen des Lebens erwartet
werden kann. Nur wenn sich die Partner einer Gemeinschaft so sehr
füreinander verantwortlich fühlen, dass sie den gemeinsamen
Lebensunterhalt sicherstellen, ist ihre Lage mit derjenigen von Ehegatten
vergleichbar. Auch im Rahmen der Sperrzeitregelung kann auf diesen § 137
Abs 2a AFG zugrundeliegenden Rechtsgedanken zurückgegriffen werden. Die
zwischen den Partnern empfundenen gegenseitigen Unterhaltspflichten können
bei entsprechender Intensität auch einen wichtigen Grund für den - ua der
Kostenminimierung dienenden - Umzug mit dem Partner darstellen.
Demnach ist eheähnlich im Rahmen des Arbeitsförderungsrechts eine
Verbindung zweier Partner unterschiedlichen Geschlechts (nur) dann, wenn
sie auf Dauer angelegt ist, daneben keine weitere Lebensgemeinschaft
gleicher Art zulässt und sich durch innere Bindungen auszeichnet, die ein
gegenseitiges Einstehen der Partner füreinander erwarten lassen, also über
die Beziehungen einer reinen Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft
hinausgehen.
Eine Entscheidung über das Vorliegen einer solchen eheähnlichen
Gemeinschaft ist nur anhand sog Hilfstatsachen möglich, wobei diese
Kriterien durchaus mit der Verwaltungspraxis der Beklagten und der
Rechtsprechung des BVerwG (dort insbesondere zu § 122 BSHG)
korrespondieren, wonach jeweils zu Lasten des Sozialleistungsempfängers
das Bestehen einer eheähnlichen Partnerschaft ermittelt werden muss.
Hierbei ist eine Gesamtschau aller Tatsachen geboten, wobei kein Kriterium
den Stellenwert einer absoluten Mindestanforderung beanspruchen kann.
Demgemäß kann nicht gefordert werden, dass die eheähnliche Gemeinschaft in
jedem Falle bereits seit drei Jahren bestanden haben muss, andererseits
kann ein Zuzug erst zur Begründung/ Aufnahme einer Gemeinschaft generell
keinen wichtigen Grund im Sinne des Sperrzeitenrechts darstellen.
Hier waren die Partner bereits einmal über eine erhebliche räumliche
Distanz gemeinsam umgezogen. Sie lebten bereits seit 3 1/2 Jahren im Sinne
einer Einstehensgemeinschaft zusammen in einer gemeinsamen Wohnung. Die
Partner heirateten auch "planmäßig" im Juli 1997. Das LSG hat aus allen
Gesamtumständen rechtsfehlerfrei den Schluss gezogen, dass eine
eheähnliche Gemeinschaft im Sinne des Arbeitsförderungsrechts vorlag. Der
Umzug zur Aufrechterhaltung dieser Gemeinschaft stellte einen wichtigen
Grund für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses der Klägerin dar.
SG Osnabrück - S 4 AL 230/97 -
LSG Niedersachsen - L 7 AL 52/00 - - B 7 AL 96/00 R -
|