Presse



AFP v. 20.10.2002

Ein "Bonjour" für alle Schwulen und Lesben

Neuartige Homosexuellen-Initiative in der Stadt Le Mans
Vom Vier-Sterne-Hotel bis zum "Café Couleurs" machen alle mit

Von Lucile Malandain

Le Mans, 20. Oktober (AFP) - Auf ihrem Weg von Paris in die Bretagne machen nur wenige Sommerurlauber in Le Mans Station. Große Umwege fährt fast niemand für die 150.000-Einwohner-Stadt an der Sarthe - außer natürlich beim 24-Stunden-Rennen. Nur zu diesem Rennklassiker kommt so Richtung Stimmung auf in der Industriestadt mit dem Image eines mittelprächtigen Provinztreffpunkts. Doch seit Anfang Oktober sind viele Franzosen hellhörig geworden. In Le Mans ist etwas Einzigartiges in Gang gekommen. 30 Wirtschaftsbetriebe - vom Vier-Sterne-Hotel "Concorde" bis hin zum "Café Couleurs" - haben sich der "Charta für die Aufnahme von Homosexuellen" angeschlossen. Mit einem regenbogenfarbenen Aufkleber signalisieren sie ihr freundliches "Bonjour" für Schwule und Lesben.

Von hochtrabenden Motiven ist gar nicht erst die Rede. "Wir wollten das touristische Potenzial besser ausschöpfen", erläutert Vize-Bürgermeisterin Dominique Niederkorn, zu deren Zuständigkeitsbereich auch der Fremdenverkehr gehört. Studien zeigten, dass Homosexuelle sich überdurchschnittlich für Kultur und Freizeitangebote interessierten. So kamen die Geschäftsleute auf die Idee, die Homosexuellen-Freundlichkeit zum Programm zu erheben. Sie alle wollen die Aufnahme von Schwulen und Lesben verbessern, mehr Service bieten, die Attraktivität der Stadt steigern, ein Bild von Offenheit, Gesprächsbereitschaft und Lebensfreude entwickeln.

Von ungefähr ist die Idee nicht entstanden. "Seit ich vor sechs Jahren hierher kam, hat die Stadtverwaltung mich immer unterstützt", sagt der Chef des Homo-Treffpunkts "Café Couleurs", Eric Cantin. Das Café liegt nicht weit vom Rathaus und so ist es schon lange Tradition, dass Abgeordnete des Stadtparlaments, homosexuelle Paare und Zufallsgäste hier locker beisammen sitzen. Auch in der Disco "La Limite", die sich ebenfalls an der Regenbogen-Aktion beteiligt, vergnügt sich eine bunte Mischung aus Schwulen, Lesben und Heteros. Zu den Unterzeichnern der Charta "Lesbian and gay friendly" zählen ferner Hotelketten, Reiseagenturen und Boutiquen.

Bürgermeister Jean-Claude Boulard ist zugleich erfreut und erstaunt über die große Aufmerksamkeit für die Regenbogen-Aktion. Als die Charta in Umlauf gebracht wurde, habe er nicht einmal gewusst, dass es in anderen Städten nichts Vergleichbares gibt. Die Initiative mit der Charta bedeutet aber noch nicht, dass Homosexuelle in Le Mans keine Probleme haben. Insgesamt sechs Vereinigungen von Schwulen und Lesben gibt es in der Stadt, zum Teil mit schweren Geschichten beladen: Der Verein "clin d'oeil" ("Augenzwinkern") wurde vor ein paar Jahren gegründet, nachdem sich ein homosexueller Student, der mit seiner Orientierung nicht zu Recht kam, umgebracht hatte.

"Die Diskriminierung von Gleichgeschlechtlichen besteht fort", sagt Philippe Lambert von der Vereinigung "Energumaine". Er befürchtet, dass es wieder Rückfälle geben könnte. Alle denken in diesen Tagen an den Attentäter von Paris, der dem bekennenden schwulen Bürgermeister Bertrand Delanoë am 6. Oktober ein Messer in den Bauch gerammt hatte - mit der Begründung, er könne Politiker nicht leiden, Homosexuelle schon gar nicht.

 


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