Presse



Pressemitteilung der Schwusos Hessen/Frankfurt vom 12. November 2002

Martin Hohmann und die Denaturierung des gesellschaftspolitischen Dialogs

Die Schwusos Hessen/Frankfurt stellen zur Presseerklärung des Fuldaer Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann vom 08-11-02 fest:

  • Die Frage, was Familie ist, wird uns in der Tat gerade im Hinblick auf die Kinder in den nächsten Jahren intensiv beschäftigen und verspricht, sich zu einem hochinteressanten gesellschaftlichen Diskurs zu entwickeln. Begriffliche Nebelkerzen wie das "Leitbild der Familie" (wir erinnern uns an die unappetitliche Debatte um die Leitkultur) zeugen von einer erschreckenden Verwirrtheit des Disputanten, erst recht, wenn dieses Leitbild "denaturiert" worden sein soll – der Gebrauch von Fremdwörtern entpuppt sich als Glücksache.
     
  • Martin Hohmanns Konfusion kommt bei der kühnen These vollends zur Entfaltung, der Bevölkerungsrückgang stehe in einem kausalen Zusammenhang mit der "Tolerierung und aktiven Propagierung der Homosexualität". Wir resümieren:
     
  • Grundübel ist wohl die Aufhebung des § 175, also die Straffreiheit männlicher Homosexualität. So erfreulich es ist, dass Martin Hohmann endlich offen ausspricht, was andere nur zwischen den Zeilen zu denken wagen – der Rekurs auf nationalsozialistisches Unrechtsdenken disqualifiziert seinen Gedanken von selbst.
     
  • Bei der "aktiven Propagierung der Homosexualität" finden wir das Muster der ‚haltet-den-Dieb‘-Argumentation: Der Verfolgte wird zum Verfolger stilisiert, die Mehrheits-Gesellschaft muß sich gegen die Machtergreifung einer Minderheit wehren; in diesem Sinne stellten die Nationalsozialisten die Verfolgung der Juden als Verteidigung des Deutschtums dar. Eine "aktive Propagierung", sprich Aufforderung zur Homosexualität, vermag außer Martin Hohmann wohl niemand auszumachen – eine paranoide Wahrnehmungsstörung der Realität im Dienste einer zelotischen Ideologie.
     
  • Der Bevölkerungsrückgang setzte bekanntlich mit dem "Pillenknick" in den 60-iger Jahren ein – vor der Teilentschärfung des § 175. Es ist durch nichts belegt, noch weniger plausibel, dass die mangelnde Bereitschaft zum Kind in Deutschland wie in vergleichbaren Industrieländern in irgendeinem kausalen Zusammenhang mit der Praktizierung und gesellschaftlichen Einschätzung der Homosexualität steht. Zum Vergleich: In Italien, einem Land mit weitgehender Ächtung der Homosexualität, ist die Geburtenrate deutlich niedrieger als in Frankreich, einem Land auch rechtlich abgesicherter Tolerierung homosexueller Lebensformen.
     
  • Die Einlassung Martin Hohmanns zur Entwicklung der kindlichen Identität entlarvt einmal mehr seine erschreckende Realitätsverleugnung: Millionen von Kindern wachsen in unvollständigen Familien auf - sei es, dass sich Vater oder Mutter schlicht davonstehlen, seien es ledige Mütter, seien es die Scheidungskinder, deren Zahl von Jahr zu Jahr anwächst. Von den unsäglichen Probleme in äußerlich noch intakten BGB-Ehen, bei denen ein latenter Kriegszustand zwischen den (heterosexuellen) Partnern aufgrund unterschiedlicher Geschlechtsrollen-Verständnisse herrscht, ganz zu schweigen: Ein kinderfreundliches Millieu fehlt in unserer Gesellschaft in der Tat, indes gilt dies für die BGB-Ehe- und –Familie, die von den (heterosexuellen) Beteiligten in den letzten Jahrzehnten innerlich ausgehöhlt wurde.
     
  • Auch besteht keinerlei Zusammenhang damit, dass bereits heute eine beachtliche Zahl von Kindern in Familien aufwächst, bei denen ein homosexueller Elternteil mit ihrer gleichgeschlechtlichen Partnerin bzw. seinem Partner zusammenlebt. Da diese Lebensform bis 2001 rechtlich nicht abgesichert war und auch heute mit z.T. erheblichen materiellen Nachteilen verbunden ist, kann aus guten Gründen angenommen werden, dass dieser Familienrahmen eher harmonisch eine kinderfreundliche Atmosphäre schafft.
     
  • Dies würde in gleicher Weise für Adoptionen gelten, handelt es sich doch um Kinder, die von ihren (meist heterosexuellen) Eltern nicht gewollt sind bzw. nicht aufgezogen werden können. Kinderfreundliche Rahmenbedingungen sind sowenig wie bei herkömmlichen Adoptionen gewährleistet, aber bisherige Erfahrungen über den Umgang gleichgeschlechtlicher Paare mit ihren Kindern lassen ähnlich positive Entwicklungen erwarten, wie sie bei der Adoption im Rahmen einer funktionierenden BGB-Ehe möglich sind.
     
  • Diese generellen atmosphärischen Aspekte unterschlägt Martin Hohmann und zielt stattdessen auf die Bedeutung von Vater und Mutter für die kindliche Entwicklung. Darüber läßt sich in der Tat trefflich raisonnieren – unterschlägt aber, dass ein gesellschaftlich verbindliches Rollenmuster für Vater und Mutter längst verlorenging. Man mag dies bedauern oder nicht, ein Zusammenhang mit der gesellschaftlichen Einschätzung der Homosexualität besteht auch hier nicht, und irgendwelche Störungen der kindlichen Entwicklung lassen sich aus den Ländern, in denen am längsten Erfahrungen mit dem Aufwachsen von Kindern mit gleichgeschlichen Eltern vorliegen, nicht belegen. Eine ominöse, nicht näher spezifizierte "Fülle von Studien ... (zur) Väterforschung" entstammt wohl eher dem Dunstkreis Bibeltreuer Christen, als dass sie zur konkreten Analyse und Lösung familienpolitischer Probleme beiträgt.
     
  • Der zynische Fundamentalismus, uns Schwulen und Lesben stünde "die Umkehr zu Gottes Geboten" offen, ist der Gipfel der atavistischen Abkehr von den abendländisch-humanistischen Werten einer aufgeklärten, laizistischen Gesellschaftsordnung – so schamlos hat nicht einmal Martin Hohmanns verirrter Vordenker Norbert Geis das Primat der weltlichen Grundloyalität unseres Staates auf den Kopf gestellt.

Die Schwusos Hessen/Frankfurt fordern die Fuldaer, hessische und Bundes-CDU sowie die Bundestagsfraktion der CDU/CSU auf, sich von diesen Entgleisungen ihres Fuldaer Abgeordneten zu distanzieren, um jedweden Zweifeln zuvorzukommen, seine unqualifizierten Einlassungen – speziell zur Homosexualität generell - entsprächen der offiziellen Parteilinie bzw. –meinung.

Gene Schmidt
Vorsitzender Schwusos Hessen, Hessen-Süd

Christoph Schuke
Vorsitzender Schwusos Frankfurt

 


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