SCHWUBS
SchwuLesbische Inititiative
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Görlitz, 02. Juni 2004
Prezydent m.st. Warszawy
Lech Kaczyński
00-950 Warszawa
pl. Bankowy 3/5, pok. 129
Gay Pride 2004 in Warschau
Sehr geehrter Herr Kaczyński,
Ende Mai erreichte uns die Nachricht, dass Sie es den Homosexuellen ihrer
Stadt dieses Jahr nicht gestatten wollen, ihren Gay Pride zu feiern. Diese
Nachricht hat große Enttäuschung und Unverständnis bei uns hervorgerufen.
Wir melden uns heute zu Wort, weil wir gute Kontakte zu einigen sehr
engagierten Frauen ihrer Stadt hegen, die kulturell und politisch vieles
in Warschau bewegen. Dank dieser Freundschaft beobachten wir mit großer
Verbundenheit alles, was sich in ihrer Stadt und ihrem schönen Land in
Sachen „Toleranz Homosexuellen gegenüber“ bewegt. Ihre Entscheidung gegen
eine diesjährige Parada Równości bestürzt uns sehr und wir möchten Sie
bitten, den Sachverhalt nochmals zu überdenken.
Sehr lange Zeit war es ein großes Anliegen ihres Landes, der Europäischen
Union beizutreten. Dieses Vorhaben konnten sie erfolgreich umsetzen. Für
viele Menschen (nicht nur Homosexuelle) war dieses Ereignis geprägt von
Hoffnung. Hat doch die Europäische Union mit Artikel 21 Absatz 1 aus der
Charta der Grundrechte manifestiert, “Diskriminierungen, insbesondere
wegen [...] der sexuellen Ausrichtung sind verboten.“ Mit ihrem Verbot der
Parade entsprechen sie keineswegs diesem Artikel 21, der seit 01. Mai 2004
auch für ihr Land gilt.
Homosexuelle suchen sich ihre Sexualität keineswegs aus, das belegen
aktuelle Forschungen aus vielen Ländern. Homosexuelle sind auch nicht
gefährlich für ihre Mitmenschen. Vor Homosexuellen muss man sich nicht
fürchten. Alles, was diese Menschen wollen, ist die Anerkennung ihrer
Lebensweise als natürlich und die Einhaltung der Menschenrechte ihnen
gegenüber.
Über Ihre Motive lässt sich nur mutmaßen. Ganz klar scheint uns aber, dass
sie die Vorteile eines Gay Prides für ihre Stadt und ihr Land bisher
keineswegs erkannt haben:
Polen hat mit seinem Beitritt zur Europäischen Union ganz klar
symbolisiert, dass es westlich, fortschrittlich und europäisch sein will.
Bitte schauen sie sich in den westlichen und fortschrittlichen
EU-Nachbarländern um. Alle diese Länder gestatten ihrer homosexuellen
Bevölkerung jedes Jahr, durch die Straßen der großen und auch kleinen
Städte zu ziehen. In Deutschland sind es im Jahr 2004 allein 34 Paraden,
Straßen- und Stadtteilfeste.
Dabei laufen der katholische Glaube und homosexuelle Paraden keineswegs
gegeneinander. Gerade im sehr katholischen Bayern in Deutschland finden 3
der größten Paraden statt. In nahezu allen europäischen Hauptstädten (21
Stück) gibt es 2004 Paraden. Nur Polen scheut sich offensichtlich, diese
friedlichen Feste zu gestatten.
Längst hat man international das Potenzial der Homosexuellen Bevölkerung
erkannt. Immerhin macht die Anzahl homosexueller Menschen 10 % der
Gesamtbevölkerung der Erde aus. Das gilt auch für Polen! Sie setzen also
gegen 3,8 Millionen Menschen in ihrem Land das klare Zeichen, dass Sie sie
nicht wünschen. Diese Menschen sind ihre Wählerschaft, besitzen eine
überdurchschnittlich hohe Kaufkraft und hohe Motivation, soziale
Veränderungen – von denen alle Menschen profitieren – in Gang zu setzen.
In ihren Nachbarländern sind schwul-lesbische Paraden längst zu
medienwirksamen Ereignissen geworden, die Stadtoberhäupter geschickt zu
nutzen wissen. Vielerorts übernehmen die Oberbürgermeister die
Schirmherrschaft für eine Parade. Sie symbolisieren damit ihre
Weltoffenheit und fangen flächendeckend Sympathien für sich und ihre Stadt
ein. Das bunte Spektakel, bei dem Menschen für mehr Toleranz friedlich auf
die Straße gehen, kommt einem „Karneval außerhalb der Saison“ gleich und
findet tausende begeisterte Zuschauer an Straßenrändern und
Fernsehbildschirmen. Eine Stadt kann mit einer genehmigten Parade
demonstrieren, dass sie weltoffen ist, sich für die Belange kleinerer
Bevölkerungsgruppen interessiert und ein deutliches Zeichen für Frieden
und Toleranz setzen.
Die Finanzkraft Homosexueller bedeutet für die Städte hohe Einnahmen und
wurde längst erkannt. Die Hotels sind meist am betreffenden Wochenende
restlos ausgebucht, Gastronomie und Boutiquen machen in wenigen Tagen
Monatsumsätze und auch kulturelle Einrichtungen oder Verkehrsbetriebe
verbuchen deutlich höhere Gewinne. Die Auswirkungen des homosexuellen
Tourismus für das Pride-Wochenende verschaffen einer Stadt einen
finanziellen Schub. Und wer kann den nicht gut gebrauchen? Nicht umsonst
herrschen mittlerweile erbitterte Wettkämpfe um Großereignisse, wie die
GayGames – die Olympischen Spiele der Homosexuellen – in die eigene Stadt
zu bekommen. Rund 20.000 zahlende Gäste mehr oder weniger in der Stadt zu
beherbergen ist für viele eine Überlegung wert.
Bitte überlegen Sie sich noch einmal gründlich, ob sie tatsächlich etwas
zu verlieren hätten, wenn sie die Parada Równości doch stattfinden lassen!
Sie können genau genommen nur gewinnen, sowohl finanziell als auch an
internationaler Anerkennung als eine Stadt, die dem Zeitgeist folgt, sich
fortschrittlich, weltoffen und tolerant präsentiert.
Mit freundlichen Grüßen
Schwubs
Die SchwuLesbische Initiative für die Oberlausitz
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