Auszug aus der Rede der CDU-Vorsitzenden
Angela Merkel beim CDU-Parteitag am 06.12.2004 in Düsseldorf:
"Ich halte es bei aller Toleranz für falsch,
das Erbrecht bei gleichgeschlechtlichen Partnerschaften
so auszugestalten wie das bei Ehepaaren"
...Ich glaube, viele Menschen spüren, wir sind nicht nur wirtschaftlich, sondern wir sind auch
gesellschaftlich in eine Schieflage geraten. Die Sehnsucht nach Orientierung ist groß. Die Menschen
fragen danach, was uns verbindet, was diese Gesellschaft zusammen hält, welche Ziele sie hat.
Niemand setzt sich für etwas ein, mit dem er sich nicht identifiziert. Deshalb wollen wir eine
Gesellschaft, die sich ihrer Wurzeln bewusst ist. Das ist eine Gesellschaft, die sich nicht nur an Werte
klammert, sondern die ihre Werte lebt.
Vielleicht zeigt sich das in nichts so deutlich wie in der Frage, wie dieses Land mit Familien und
Kindern umgeht. Sucht man nach ernsthaften Erklärungen oder Bekenntnissen der Bundesregierung
zu Familien, dann braucht man einen ziemlich langen Atem. Eine Regierungserklärung des
Bundeskanzlers vom April 2002 enthielt einen bemerkenswerten Satz, wie ich finde. Dort hieß es: "Wir
unterstützen durchaus das, was man die traditionelle Familie nennt, die Familie mit Mutter, Vater und
Kindern." - Ende des Zitats. Liebe Freunde, wie viel Distanz spricht eigentlich aus diesen Worten?
Was heißt hier eigentlich "durchaus"?
Damit kein Missverständnis entsteht: Wir als Union respektieren die Lebensentscheidungen jedes
Einzelnen. Wir anerkennen die verschiedenen Lebensformen, wir wissen um das Scheitern von
Beziehungen. Aber dennoch dürfen sich doch die Prioritäten nicht vollständig verschieben, muss der
Staat sich auch heute noch entscheiden, was er fördert und was nicht. Ich halte es bei aller Toleranz
für falsch, das Erbrecht bei gleichgeschlechtlichen Partnerschaften so auszugestalten wie das bei
Ehepaaren, wie Rot-Grün es jüngst beschlossen hat.
Auch im 21. Jahrhundert hat die Gründung einer Familie in den Lebensentwürfen der meisten
Menschen einen herausragenden Platz. Hier werden Treue, Verlässlichkeit, Bindung, Geborgenheit
und Halt, soziale Verantwortung weitergegeben. Das kann man doch nicht mit einem einfachen
"durchaus" abtun.
Ich sage Ihnen ganz ehrlich, ohne mein Elternhaus in Templin in der Uckermark hätte ich den
Sozialismus gar nicht überlebt. Auf der einen Seite gab es das System der DDR, das unser Leben wie
eine Krake erfassen wollte. Auf der anderen Seite gab es mein Elternhaus. Jeden Tag habe ich nach
der Schule zu Hause erst einmal alles "abgesprochen", wie ich es immer genannt habe. Zwei Stunden
habe ich meiner Mutter alles erzählt, was am Tag in der Schule geschehen war und mir auf der Seele
lag. Ich bin meinen Eltern heute noch dankbar, dass wir zu Hause dazu diese Möglichkeit hatten. Ich
erzähle Ihnen das nicht, um die Frauen, die wie meine Mutter zu Hause gearbeitet haben, zum
Lebensideal aller Frauen zu erheben. Wenngleich: Etwas mehr Anerkennung unserer Gesellschaft für
die Leistung von Hausfrauen und Müttern könnte und uns auch nicht schaden. Aber noch einmal, wir
schreiben niemandem vor, wie er zu leben hat. Wir wollen eine Politik, die junge Menschen heute
nicht mehr vor die Alternative Beruf oder Familie stellt. Wir wollen eine Politik, die Beruf und Familie
zusammen möglich macht. Dazu brauchen wir familiengerechte Jobs, nicht aber jobgerechte Familien,
denn Zeit für Kinder brauchen wir auch.
Aber ich erzähle Ihnen das aus einem anderen Grund, denn für mich zeigt es einmal mehr: Es gibt,
egal in welchem System Sie leben, egal in welcher Zeit Sie leben - ob in der Globalisierung oder der
Industriegesellschaft, ob in einer Demokratie oder sogar auch in einer Diktatur - es gibt ein Leben aus
dem, was immer gilt. Selbst ein Unrechtssystem wie das der DDR hat es nicht geschafft, all das zu
zerstören, was das Leben des Menschen ausmacht: Treue, Verlässlichkeit, Bindung, Geborgenheit,
Halt. Das hat uns am Leben gehalten. Der Sozialismus hat unzählige Familien gequält und zerstört
und unendliche tägliche Kämpfe vieler, auch meiner Eltern, gegen Absurditäten notwendig gemacht.
Aber dennoch hat der Sozialismus das, was Familie ausmacht, wonach der Mensch sich sehnt, nicht
zerstören können, und am Ende hat genau das dazu beigetragen, ihn selbst, den Sozialismus, zu
überwinden.
Aus den Werten also, die immer gelten, schöpfen wir Menschen unsere Kraft. Die Leistungen unserer
Väter und Mütter, die Verantwortung von Eltern für Kinder und Kinder für Eltern kann gar nicht hoch
genug eingeschätzt werden. Ob wir tatsächlich ermessen, was es heißt, aus dem zu leben, was immer
gilt, zeigt sich daran, ob unsere Gesellschaft endlich kinderfreundlicher wird. Davon hängt unsere
Zukunft ab. Eine menschliche Gesellschaft ist eine Gesellschaft, die Familien stärkt durch materielle
Unterstützung, aber eben auch durch Anerkennung und Wertschätzung.
Als Christdemokraten wollen wir eben nicht nur, dass wieder mehr Kinder in unserer Gesellschaft
aufwachsen, sondern wir haben Vorstellungen davon, wie sie aufwachsen. Da führt kein Weg daran
vorbei: Obwohl Erziehung zu allererst eine Aufgabe der Eltern ist und bleibt, ist es die Aufgabe der
Gesellschaft, die Eltern bei ihrem Erziehungsauftrag zu unterstützen. Kinder und Jugendliche sollen
das Gefühl bekommen, dass es dieser Gesellschaft etwas wert ist, wenn man fleißig ist, wenn man
sich hilfsbereit verhält, wenn man respektvoll gegenüber anderen auftritt. Wenn aber schon in frühem
Alter ein Klima der Beliebigkeit um sich greift, dann sind die Folgen nie wieder gut zu machen.
Auch hier zeigt sich übrigens: Es ist keineswegs egal, wer regiert. Wir sehen es doch gerade in
Brandenburg. Lieber Jörg Schönbohm, Sie haben die Wiedereinführung von Kopfnoten vor der Wahl
gefordert, und Sie haben sie jetzt bei den Koalitionsverhandlungen durchgesetzt. Das nenne ich
verlässliche Politik im Sinne der Menschen...
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