Bundesgesetzblatt Jahrgang 1998 Teil I Nr. 58,
ausgegeben zu Bonn am 31. August 1998, Seite 2501
(BGBl. I S. 2501)
Gesetz
zur Aufhebung nationalsozialistischer
Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege und von
Sterilisationsentscheidungen der ehemaligen Erbgesundheitsgerichte
Vom 25. August 1998
Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrates das folgende Gesetz beschlossen:
Artikel 1
Gesetz
zur Aufhebung nationalsozialistischer
Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege
(NS-AufhG)
§ 1
Durch dieses Gesetz werden verurteilende strafgerichtliche Entscheidungen, die unter Verstoß gegen elementare Gedanken der Gerechtigkeit nach dem 30. Januar 1933 zur Durchsetzung oder
Aufrechterhaltung des nationalsozialistischen Unrechtsregimes aus politischen, militärischen, rassischen, religiösen oder weltanschaulichen Gründen ergangen sind, aufgehoben. Die den
Entscheidungen zugrunde liegenden Verfahren werden eingestellt.
§ 2
Entscheidungen im Sinne des § 1 sind insbesondere
-
Entscheidungen des Volksgerichtshofes,
-
Entscheidungen der aufgrund der Verordnung über die Einrichtung von Standgerichten vom 15. Februar 1945 (RGBl. I S. 30) gebildeten Standgerichte,
-
Entscheidungen, die auf den in der Anlage genannten gesetzlichen Vorschriften beruhen.
§ 3
(1) Ist eine Entscheidung auf die Verletzung mehrerer Strafvorschriften gestützt und liegen die Voraussetzungen des § 1 Satz 1, auch in Verbindung mit § 2, nur hinsichtlich eines
Teiles der Entscheidung vor, so wird die Entscheidung insgesamt aufgehoben, sofern der Teil der Entscheidung, der die Voraussetzung des § 1 Satz 1, auch in Verbindung mit § 2, erfüllt,
nicht von untergeordneter Bedeutung ist.
(2) Erscheint nach Lage des Falles zweifelhaft, ob die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, so ist die dem Täter günstigere Auslegung zugrunde zu legen.
§ 4
(1) Ist die Entscheidung in Fällen des § 3 nicht vollständig aufgehoben, so wird auf Antrag der Teil der Entscheidung aufgehoben, für den die Voraussetzungen des § 1 Satz 1, auch in
Verbindung mit § 2, vorliegen.
(2) Über den Antrag entscheidet das Landgericht durch unanfechtbaren Beschluß.
§ 5
Weitergehende Vorschriften, die zur Wiedergutmachung oder Beseitigung nationalsozialistischen Unrechts
in der Strafrechtspflege erlassen wurden, bleiben unberührt.
§ 6
(1) Auf Antrag stellt die Staatsanwaltschaft fest, ob ein Urteil aufgehoben ist; hierüber erteilt sie eine Bescheinigung. Antragsberechtigt sind der Verurteilte, nach seinem Tode seine
Verwandten und Verschwägerten gerader Linie, seine Geschwister, der Ehegatte und der Verlobte. Sind alle Antragsberechtigten verstorben oder ist ihr Aufenthalt unbekannt, so hat die
Staatsanwaltschaft die Feststellung von Amts wegen zu treffen, wenn dafür ein berechtigtes Interesse dargetan wird.
(2) Zuständig ist die Staatsanwaltschaft, die das Verfahren eingeleitet hat, das der in § 1 genannten Entscheidung vorausgegangen ist. Wird am Sitz dieser Staatsanwaltschaft keine
deutsche Gerichtsbarkeit ausgeübt oder läßt sich die Staatsanwaltschaft nicht bestimmen, so ist die Staatsanwaltschaft zuständig, in deren Bezirk der Betroffene zum Zeitpunkt der
Tatbegehung seinen Wohnsitz hatte. Wird auch am Sitz der Staatsanwaltschaft keine deutsche Gerichtsbarkeit ausgeübt oder läßt sich diese Staatsanwaltschaft aus anderen Gründen nicht
bestimmen, so wird die zuständige Staatsanwaltschaft durch den Bundesgerichtshof bestimmt. Die Staatsanwaltschaft teilt dem Bundeszentralregister die Feststellung der Urteilsaufhebung
mit.
(3) Absatz 1 Satz 2 und 3, Absatz 2 gelten für Entscheidungen nach § 4 sinngemäß.
§ 7
Die Aufhebung des Urteils umfaßt auch alle Nebenstrafen und Nebenfolgen.
§ 8
Eintragungen im Bundeszentralregister über Urteile, deren Aufhebung gemäß § 6 festgestellt worden ist, sind zu tilgen.
Artikel 2
Gesetz
zur Aufhebung von Sterilisationsentscheidungen
der ehemaligen Erbgesundheitsgerichte
§ 1
(1) Die eine Unfruchtbarmachung anordnenden und noch rechtskräftigen Beschlüsse, die von den Gerichten aufgrund des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 14. Juli 1933 (RGBl.
I S. 529), zuletzt geändert durch Gesetz vom 4. Februar 1936 (RGBl. I S. 119), erlassen worden sind, werden aufgehoben.
(2) Die Aufhebung kann nicht zum Nachteil eines Dritten geltend gemacht werden.
§ 2
Die Verordnung über die Wiederaufnahme von Verfahren in Erbgesundheitssachen vom 28. Juli 1947 (Verordnungsblatt für die Britische Zone, S. 110; BGBI. III 316 -1a)
tritt außer Kraft.
Artikel 3
Dieses Gesetz tritt am Tage nach der Verkündung in Kraft.
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Das vorstehende Gesetz wird hiermit ausgefertigt und wird im Bundesgesetzblatt verkündet.
Berlin, den 25. August 1998
Der Bundespräsident
Roman Herzog
Der Bundeskanzler
Dr. Helmut Kohl
Der Bundesminister der Justiz
Schmidt-Jortzig
Der Bundesminister der Finanzen
Theo Waigel
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