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Antragder Abgeordneten Christina Schenk, Ulla Jelpke, Sabine Jünger, Dr. Evelyn Kenzler, Heidemarie Lüth, Dr. Gregor Gysi und der Fraktion der PDSUnrechtserklärung der nationalsozialistischen §§ 175 und 175a Nr. 4 Reichsstrafgesetzbuch sowie Rehabilitierung und Entschädigung für die schwulen und lesbischen Opfer des NS-RegimesDer Bundestag wolle beschließen:
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Berlin, den 25. Januar 2000 Christina Schenk
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Hinsichtlich der abweichenden Verfolgungssituation lesbischer Frauen sei auf die Feststellungen von Claudia Schoppmann verwiesen: "Die Nichtkriminalisierung weiblicher Homosexualität verhinderte, dass lesbische Frauen auf ähnliche Weise und vergleichbar (strafrechtlich) intensiv verfolgt wurden wie homosexuelle Männer. Sie teilten jedoch u.a. die Erfahrung der Zerstörung von Einrichtungen der homosexuellen Subkultur, ihrer Klubs und Vereine, das Verbot von Zeitschriften, die Schließung bzw. Überwachung ihrer Lokale und waren ebenfalls von Razzien bedroht. Dies hatte u.a. die Vereinzelung lesbischer Frauen zur Folge […] Nur wenige Fälle sind nachweisbar, in denen Frauen […] wegen ihrer Homosexualität […] verfolgt wurden. […] Möglicherweise waren lesbische Frauen eher von der unspezifischen "Asozialen"-Verfolgung bedroht. […] Als "asozial" galten vor allem diejenigen, die sich dem totalen Leistungsanspruch des NS-Staates zu entziehen suchten. Dabei spielten das Arbeitsvermögen, generatives Verhalten und soziale Bedürftigkeit eine wesentliche Rolle, wovon insbesondere Nichtsesshafte, Arbeitslose, Prostituierte, aber auch Homosexuelle sowie Sinti und Roma betroffen waren. […] Die Prostituierte galt als Prototyp weiblicher "Asozialität", und darüber hinaus wurde von den Nazis ein besonderer Zusammenhang zwischen lesbischen Frauen und Prostituierten behauptet. Jedoch kann nicht geschätzt werden, wie oft sich unter den als "Asoziale" Verhafteten auch lesbische Frauen befanden oder wie oft lesbische Frauen wegen angeblicher Prostitution verhaftet wurden (Schoppmann, Claudia: Zur Situation lesbischer Frauen in der NS-Zeit; in Günter Grau [Hrsg.]: Homosexualität in der NS-Zeit, Frankfurt/M. 1993, S. 35–42, hier S. 40f.). Andere Quellen berichten über Frauen in der Wehrmacht, die als Lesben wegen Wehrkraftzersetzung vor ein Kriegsgericht gestellt, aus der Wehrmacht ausgestoßen und in KZ’s verbracht wurden (vgl. Kokula, Ilse: Lesbisch leben von Weimar bis zur Nachkriegszeit, in: Eldorado – Homosexuelle Frauen und Männer in Berlin 1850 bis 1950, Ausstellungskatalog, Fröhlich & Kaufmann, Berlin 1984, S. 160). Hieran wie auch im Umgang mit den verschärften §§ 175 und 175a RStGB wird deutlich, dass die Kategorisierungen der Verfolger sich nicht als Kriterien für eine Entschädigung und Wiedergutmachung eignen. Heutige Maxime kann nur sein, dass niemand zu Recht in ein KZ gebracht wurde. In wenigen Bereichen staatlichen Handelns hat sich
die Bundesrepublik Deutschland so schwer getan,
nationalsozialistische Traditionen zu überwinden wie in
der staatlichen Unterdrückungspolitik gegenüber
Schwulen. Verurteilte nach dem Nazi-Paragraphen
erhielten bislang keine Entschädigung. Bisher wird auf
der 1986 im Entschädigungsbericht geäußerten
Rechtsposition beharrt: "Die Bestrafung
homosexueller Betätigung in einem nach den
strafrechtlichen Vorschriften durchgeführten Verfahren
ist weder NS-Unrecht noch rechtsstaatswidrig. […]
Deshalb können Strafen, die in einem nach den
gesetzlichen Vorschriften durchgeführten Strafverfahren
verhängt und im regulären Strafvollzug vollstreckt
wurden, nicht als Freiheitsentziehung entschädigt
werden." (Drucksache 10/6287, S. 40) |
Dabei ist heute durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte in Straßburg anerkannt, dass eine strafrechtliche Verfolgung einvernehmlicher homosexueller Handlungen zwischen Erwachsenen menschenrechtswidrig ist (EGMR, NJW 1984, 541 [Fall Dudgeon gegen Vereinigtes Königreich]; EuGRZ 1992, 477 [Fall Norris gegen Irland]; ÖJZ 1993, 821 [Fall Modinos gegen Zypern]). Die Bundesregierung muss dieser europäischen Rechtsentwicklung zur Anerkennung des Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung Rechnung tragen. Selbst die lesbischen und schwulen NS-Opfer, die Zwangssterilisationen oder KZ-Haft ausgesetzt waren, sind bisher nicht als Verfolgte im Sinne des § 1 des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG) anerkannt. In Missachtung historischer Tatsachen lautete die herrschende Rechtsposition: "Homosexuelle" seien zwar "häufig als politische Gegner behandelt und in ein Konzentrationslager eingeliefert (worden). […] In Wirklichkeit beruhten die gegen sie ergriffenen Maßnahmen jedoch auf Gründen der Sicherheit, der Ordnung oder ähnlichen Gründen, die mit einer echten politischen Gegnerschaft nichts zu tun hatten" (vgl. Giessler, Hans, in: Bundesminister der Finanzen; Schwarz Walter [Hrsg.]: Die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts durch die Bundesrepublik Deutschland, Bd. 4, München 1981, S. 13f.). Die neuere historische Forschung geht dagegen davon aus, dass der nationalsozialistischen Homosexuellenverfolgung rassistische und sexistische Motive zugrunde lagen (vgl. z. B. Stümke, Hans-Georg; Homosexuelle in Deutschland; Eine politische Geschichte, München, 1989; Jellonek, Burkhard: Homosexuelle unter dem Hakenkreuz, Paderborn 1990; Plant, Richard: Rosa Winkel, Der Krieg der Nazis gegen die Homosexuellen, Frankfurt/Main 1991; Grau, Günter: Homosexualität in der NS-Zeit, Frankfurt/Main 1993). Die Verschleppung Homosexueller in ein KZ wurde
bisher zwar als Staatsunrecht, nicht aber als
"typisches NS-Unrecht" eingestuft. Schwule
KZ-Häftlinge konnten zwar theoretisch Entschädigungsansprüche
nach dem Allgemeinen Kriegsfolgengesetz (AKG) von 1957
geltend machen. Dieses sah aber gegenüber dem BEG
erheblich geringere Leistungen vor. Außerdem hat das
AKG für Schwule kaum praktische Bedeutung erlangt.
Angesichts des damaligen Verfolgungseifers gegenüber
schwulen Männern – allein in den ersten 15 Jahren der
Bundesrepublik Deutschland wurden über 100 000
Ermittlungsverfahren wegen § 175 StGB eingeleitet – fürchteten
ehemalige KZ-Opfer mit einiger Berechtigung neue
Strafverfolgung und damit erneuten Verlust ihrer bürgerlichen
Existenz, wenn sie Ansprüche geltend und damit ihre
Homosexualität behördlich bekannt gemacht hätten.
Gerade in den Jahren 1958/59, in denen AKG-Anträge
gestellt werden konnten, erreichte die Zahl der in der
Bundesrepublik Deutschland nach § 175 StGB Verurteilten
mit 3 500 ihren Höchststand (Gesamtzahl der
Verurteilungen: 1933 bis 1940: 37 490; 1950 bis 1969: 59
316). |
So haben nur 14 schwule NS-Opfer fristgerecht bis zum 31. Dezember 1959 Anträge nach dem AKG gestellt. Neun weitere Anträge gingen nach Fristende ein. Angesichts vieler Tausender schwuler Männer (und einer nicht mehr bestimmbaren Zahl von lesbischen Frauen), die in den Konzentrationslagern litten oder von anderen NS-Unrechtsmaßnahmen betroffen waren, ist dies eine beschämende Zahl. Der 1987 eingerichtete AKG-Bundeshärtefonds für NS-Verfolgte hat an der Misere wenig geändert, weil er völlig unzureichend ist. Durch die Anlehnung des Härtefonds an das AKG wurde die diskriminierende Tradition der Aufspaltung der Opfer weiter zementiert. Aufgrund der restriktiven Zugangsvoraussetzungen konnten bislang nur vier Homosexuelle laufende Leistungen aus dem AKG-Härtefonds erhalten. Eine Einmalleistung bis zu 5 000 DM nach den AKG-Härterichtlinien wurde lediglich 16 homosexuellen Opfern gewährt. Eine Entschädigung, die diesen Namen verdient, hat gegenüber homosexuellen NS-Verfolgten praktisch nicht stattgefunden. Die DDR war zwar schon 1950 zur Weimarer Fassung des § 175 zurückgekehrt, schloss Homosexuelle aber ebenfalls von Entschädigungsleistungen aus. Schwule Nazi-Opfer gehörten nicht zu dem Personenkreis, dem Ehrenpensionen zuerkannt wurden. Nach der Vereinigung gingen die Betroffenen erneut leer aus. Bei der Überleitung der DDR-Ehrenpensionen im Entschädigungsrentengesetz wurden sie und andere "vergessene" Opfer weiterhin ausgegrenzt, da hierfür wiederum der enge Verfolgtenbegriff des Bundesentschädigungsgesetzes zugrunde gelegt wurde. Nicht nur einzelne homosexuelle Frauen und Männer
standen im Visier des NS-Staates. Unverzüglich nach dem
Machtantritt der Nationalsozialisten wurde auch die
homosexuelle Bürgerrechtsbewegung der Weimarer Republik
zerschlagen. Das "Wissenschaftlich-humanitäre
Komitee" löste sich im Sommer 1933 selbst auf, der
"Bund für Menschenrecht" wurde formell am 5.
Januar 1936 liquidiert. Die informelle
"Gemeinschaft der Eigenen" von Adolf Brand
zerfiel nach der Vernichtung der verlegerischen Existenz
ihres Gründers. Geschäftsstellen und Verlagshäuser
wurden geschlossen, die Presse der Homosexuellen
verboten. Ebenfalls schließen mussten
Versammlungslokale und andere Treffpunkte von Lesben und
Schwulen. Die Selbstorganisation homosexueller Männer
und Frauen wurde damit so nachhaltig vernichtet, dass
der damalige Stand erst in den späten siebziger
(Bundesrepublik Deutschland) bzw. achtziger Jahren (DDR)
annähernd wieder erreicht werden konnte. |
Besondere Bedeutung bei der Vernichtung der Infrastruktur der homosexuellen Selbstorganisation kam der Zerstörung des Berliner Instituts für Sexualwissenschaft von Dr. Magnus Hirschfeld zu. Am 6. Mai 1933 wurde das Institut von SA- und NS-Studenten als Auftakt der Bücherverbrennung gestürmt und geplündert. Das 1919 von Dr. Magnus Hirschfeld gegründete Institut hatte sich neben der wissenschaftlichen Erforschung der menschlichen Sexualität immer auch für gesellschaftliche Sexualreformen und für die Rechte der Homosexuellen eingesetzt. Das Vermögen der Trägerin, der Dr. Magnus-Hirschfeld-Stiftung, wurde vom preußischen Staat eingezogen. Nach dem Krieg gab es hierzu ein Wiedergutmachungsverfahren, das sich lediglich auf die Institutsgebäude und -grundstücke bezog und 1995 mit einem Vergleich endete, der dem Stiftungszweck von Dr. Magnus Hirschfeld völlig zuwiderlief (vgl. dazu Dose, Ralf: Bericht für die "Washington Conference on Holocaust Era Assets" 1998; zugänglich über http://www.in-berlin.de/user/hirschfeld). Die Arbeit des Instituts konnte nicht fortgesetzt werden. Für die Zerstörung der Infrastruktur der homosexuellen Bürgerbewegung, die Vernichtung der identitätsstiftenden Selbstorganisationen und Institutionen ist eine Wiedergutmachung in der Form erforderlich, dass die historische Aufarbeitung der Verfolgung, die homosexuelle Selbstorganisation sowie gesellschaftliche Initiativen zum Abbau von Diskriminierung und Vorurteilen, von Sexismus und Rassismus öffentlich gefördert werden. Dies soll durch die beantragte Stiftung gewährleistet werden. 40 Jahre lang wurde die Verfolgung der Homosexuellen
im Nationalsozialismus in West- wie Ostdeutschland fast
totgeschwiegen. Erst Bundespräsident Richard von Weizsäcker
hat in seiner Rede zum 8. Mai 1985 auch der
homosexuellen Opfer des NS-Terrors angemessen gedacht.
Die bis heute nicht erfolgte Entschuldigung, Entschädigung
und Wiedergutmachung ist umgehend nachzuholen. |
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