Deutscher Bundestag
14. Wahlperiode
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Drucksache 14/2984 (neu)
21.03.2000
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Antrag
der Abgeordneten, Alfred Hartenbach, Margot von
Renesse, Wilhelm Schmidt (Salzgitter), Dr. Peter Struck
und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Volker
Beck (Köln), Irmingerd Schewe-Gerigk. Claudia Roth,
Marieluise Beck (Bremen), Cem Özdemir, Hans
Christian Ströbele, Kerstin Müller (Köln), Rezzo
Schlauch und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
Rehabilitierung der im Nationalsozialismus
verfolgten Homosexuellen
Der Bundestag wolle beschließen:
I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Der Deutsche Bundestag verurteilt Jede Form der
Diskriminierung, Anfeindung und Gewalt gegen Schwule und
Lesben. Er bedauert, dass Lesben und Schwule in der
Vergangenheit schweren Verfolgungen ausgesetzt waren und
auch heute noch mit Diskriminierungen konfrontiert
werden.
Einen Höhepunkt erreichte die Verfolgung in der Zeit
des Nationalsozialismus. Nach der Machtübernahme durch
die NSDAP wurden die Organisationen der homosexuellen Bürgerrechtsbewegung
von den Nationalsozialisten zerschlagen, Publikationen
der Schwulen- und Lesbenorganisationen verboten. Das In
Berlin ansässige Institut für Sexualwissenschaft des
Dr. Magnus Hirschfeld wurde von der SA gestürmt und
geplündert.
Mit Gesetz vom 28.08.1935 (RGBl. l S. 839) wurde der
Anwendungsbereich des § 175 Strafgesetzbuch ausgeweitet
und der Strafrahmen verschärft. Diese Verschärfung war
Ausdruck typisch nationalsozialistischen Gedankenguts.
So heißt es in der amtlichen Begründung zur
Neufassung: "Der neue Staat, der ein an Zahl und
Kraft starkes, sittlich gesundes Volk erstrebt, muss
allem widernatürlichen geschlechtlichen Treiben mit
Nachdruck begegnen. Die gleichgeschlechtliche Unzucht
zwischen Männern muss er besonders stark bekämpfen,
weil sie erfahrungsgemäß die Neigung zu seuchenartiger
Ausbreitung hat und einen erheblichen Einfluss auf das
ganze Denken und Fühlen der betroffenen Kreise ausübt."
(Ackermann in: Bauer/Bürger-Prinz/Giese/Jäger (HrsG.),
Sexualität und Verbrechen, 1963).
Die hierdurch beeinflußte Rechtsprechung kam In
Ihrer erheblich verschärften Spruchpraxis der Aufgabe,
zugunsten eines "gesunden Volkskörpers" die
Ausbreitung der "Seuche" Homosexualität zu
verhindern, bereitwillig nach. Zwischen 1935 bis 1945
wurde ca. 50.000 Verurteilungen nach §§ 175 und 175a
Nr. 4 RStGB ausgesprochen. Tausende wurden wegen Ihrer
Homosexualität in Konzentrationslager verschleppt, die
Mehrzahl davon ermordet. Zudem waren Homosexuelle
weiteren Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt. Dazu zählen
Zwangssterilisierungen und medizinische Experimente.
Diese Verfolgungsmaßnahmen sind als offenbares
nationalsozialistisches Unrecht anzusehen.
Sowohl in der Bundesrepublik Deutschland als auch in
der DDR wurden auch nach 1949 Menschen wegen
einvernehmlicher gleichgeschlechtlicher Beziehungen
unter Erwachsenen strafrechtlich verfolgt. In der
Bundesrepublik blieb die nationalsozialistische Fassung
des § 175 StGB bis 1969 unverändert in Kraft. Zwar
wurde der Gesetzeswortlaut dieser Vorschrift vom
Bundesverfassungsgericht als mit dem Grundgesetz
vereinbar angesehen (BVerfGE 6, 389, 414). Dies gilt
jedoch nicht für die Praxis der strafrechtlichen und
erst recht nicht für die Praxis der
staatsterroristischen Verfolgung bis 1946. Im übrigen
verstößt die Verfolgung einvernehmlicher
gleichgeschlechtlicher Beziehungen gegen die Europäische
Menschenrechtskonvention und nach heutigem Verständnis
auch gegen das freiheitliche Menschenbild des
Grundgesetzes.
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