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Deutscher Bundestag Drucksache 14/9092

14. Wahlperiode
  15.05.2202


Beschlussempfehlung und Bericht

des Rechtsausschusses (6. Ausschuss)

  1. zu dem Gesetzentwurf der Abgeordneten Alfred Hartenbach, Margot von Renesse, Hermann Bachmaier und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Hans-Christian Ströbele, Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drucksache 14/8276 -

    Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege (NS-AufhGÄndG)
     

  2. zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Evelyn Kenzler, Ulla Jelpke, Sabine Jünger und der Fraktion der PDS
    - Drucksache 14/5612 -

    Aufhebung der nationalsozialistischen Unrechtsurteile gegen Deserteure

     

A. Problem

Durch das Gesetz zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege vom 25. August 1998 (NS-AufhG) werden nach § 1 verurteilende strafgerichtliche Entscheidungen, die unter Verstoß gegen elementare Gedanken der Gerechtigkeit nach dem 30. Januar 1933 zur Durchsetzung der Aufrechterhaltung des nationalsozialistischen Unrechtsregimes aus politischen, militärischen rassischen, religiösen oder weltanschaulichen Gründen ergangen sind, aufgehoben. Die genannten Entscheidungen betreffen nach § 2 des Gesetzes unter anderem auch Entscheidungen, die auf den in der Anlage zu § 2 Nr. 3 NS-AufhG genannten gesetzlichen Vorschriften beruhen. Nicht erfasst werden durch diese Regelung Verurteilungen homosexueller Männer nach den §§ 175, 175a Nr. 4 Reichsstrafgesetzbuch sowie eine Vielzahl von Verurteilungen unter anderem wegen Desertion, Feigheit oder unerlaubter Entfernung (§§ 69, 85 und 64 Militärstrafgesetzbuch). Die Betroffenen müssen sich bislang, um die Bestätigung der Aufhebung ihres Urteils zu erhalten, einer Einzelfallprüfung durch die zuständige Staatsanwaltschaft unterziehen. Dies wird von den Betroffenen teilweise als unzumutbar empfunden.

B. Lösung

Zu Buchstabe a

In Zukunft soll es auch hinsichtlich dieser Betroffenen einer Einzelfallprüfung nicht mehr bedürfen. Der Entwurf schlägt deshalb vor, die entsprechenden Strafvorschriften des Reichsstrafgesetzbuches und des Militärstrafgesetzbuches ebenfalls in der Anlage zu § 2 Nr. 3 des NS-AufhG aufzunehmen, wodurch die Einzelfallprüfung entfällt und die entsprechenden Verurteilungen durch Gesetz aufgehoben werden.

Zu Buchstabe b

Mit dem von der Mehrheit des Rechtsausschusses abgelehnten Antrag soll die Bundesregierung aufgefordert werden, noch vor Ablauf der Legislaturperiode einen Gesetzentwurf vorzulegen, durch den die Regelfalle der durch das Gesetz zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege aufgehobenen Entscheidungen (§ 2 NS-AufhG) um Urteile gegen Deserteure der nationalsozialistischen Wehrmacht ergänzt werden.

Zu Buchstabe a

Annahme mit den Stimmen der Fraktionen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und PDS gegen die Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und FDP

Zu Buchstabe b

Ablehnung mit den Stimmen der Fraktionen SPD, CDU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP gegen die Stimmen der Fraktion der PDS

C. Alternativen

Keine

D. Kosten

Keine

Beschlussempfehlung

Der Bundestag wolle beschließen,

a) den Gesetzentwurf- Drucksache 14/8276 - unverändert anzunehmen,

b) den Antrag - Drucksache 14/5612 - abzulehnen.

Berlin, den 15. Mai 2002

Der Rechtsausschuss

Dr. Rupert Scholz
Vorsitzender
Margot von Renesse
Berichterstatterin
Dr. Jürgen Gehb
Berichterstatter
Volker Beck (Köln)
Berichterstatter
  Jörg van Essen
Berichterstatter
Dr. Evelyn Kenzler
Berichterstatterin
 
 

Bericht der Abgeordneten Margot von Renesse, Dr. Jürgen Gehb, Volker Beck (Köln), Jörg van Essen und Dr. Evelyn Kenzler

I. Überweisung

Der Deutsche Bundestag hat den Gesetzentwurf - Drucksache 14/8276 - in seiner 221. Sitzung am 28. Februar 2002 in erster Lesung beraten und zur federführenden Beratung an den Rechtsausschuss und zur Mitberatung an den Verteidigungsausschuss und den Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe überwiesen.

Den Antrag - Drucksache 14/5612 — hat der Deutsche Bundestag in seiner 167. Sitzung am 10. Mai 2001 in erster Lesung beraten und zur federführenden Beratung an den Rechtsausschuss und zur Mitberatung an den Finanzausschuss, den Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung und den Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe überwiesen.

II. Inhalt der Vorlagen Zu Buchstabe a

Durch den Gesetzentwurf soll die Anlage zu § 2 Nr. 3 des Gesetzes zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege so geändert werden, dass es bei Verurteilungen homosexueller Männer nach den §§ 175, 175a Nr. 4 Reichsstrafgesetzbuch sowie bei einer Vielzahl von Verurteilungen, unter anderem wegen Desertion, Feigheit oder unerlaubter Entfernung (§§ 69, 85 und 64 Militärstrafgesetzbuch) einer Einzelfallprüfung bei der Aufhebung des Urteils nicht mehr bedarf. Die entsprechenden Verurteilungen sollen durch Gesetz aufgehoben werden.

Zu Buchstabe b

Mit dem Antrag soll die Bundesregierung aufgefordert werden, das Gesetz zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege vom 25. August 1998 zu erweitern. Die Urteile gegen Deserteure der Wehrmacht sollen in die Auflistung der Regelfälle aufgenommen werden, die gemäß § 2 des Gesetzes aufgehoben sind. Weiterhin soll eine Regelung gefunden werden, die sicherstellt, dass Ehegatten und Kinder von zum Tode Verurteilten und Hingerichteten eine Entschädigung erhalten können. Weiterhin soll geprüft werden, ob Kinder und Ehegatten, die unter der Verfolgung des Antragsberechtigten zu leiden hatten, eine Entschädigung erhalten können, auch wenn der Antragsberechtigte vor Antragstellung verstorben ist.

III. Stellungnahmen der mitberatenden Ausschüsse

Der Finanzausschuss hat in seiner 101. Sitzung am 27. Juni 2001 bei Abwesenheit der Fraktion der PDS auf eine Stellungnahme zu dem Antrag auf Drucksache 14/5612 verzichtet, da für ihn keine Zuständigkeit ersichtlich war.

Der Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung hat den Antrag auf Drucksache 14/5612 in seiner 95. Sitzung am 27. Juni 2001 beraten und mit den Stimmen der Fraktionen SPD, CDU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP gegen die Stimmen der Fraktion der PDS beschlossen, die Ablehnung des Antrags zu empfehlen.

Der Verteidigungsausschuss hat den Gesetzentwurf auf Drucksache 14/8276 in seiner 98. Sitzung am 13. März 2002 beraten und mit den Stimmen der Fraktionen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und PDS gegen die Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und FDP beschlossen zu empfehlen, den Gesetzentwurf anzunehmen.

Der Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe hat den Gesetzentwurf auf Drucksache 14/8276 in seiner 83. Sitzung am 13. März 2002 beraten und mit den Stimmen der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei Stimmenthaltung der Fraktion der CDU/CSU und bei Abwesenheit der Fraktionen FDP und PDS beschlossen zu empfehlen, den Gesetzentwurf anzunehmen.

Den Antrag auf Drucksache 14/5612 hat er in seiner 65. Sitzung am 27. Juni 2001 beraten und mit den Stimmen der Fraktionen SPD und CDU/CSU gegen die Stimmen der Fraktion der PDS bei Stimmenthaltung der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abwesenheit der Fraktion der FDP beschlossen zu empfehlen, den Antrag abzulehnen.

IV. Beratung im federführenden Rechtsausschuss

Der Rechtsausschuss hat in seiner 126. Sitzung am 24. April 2002 eine öffentliche Anhörung zu den Vorlagen durchgeführt, an der als Sachverständige teilgenommen haben:

Ludwig Baumann Vorsitzender der Bundesvereinigung Opfer der NS Militärjustiz e. V, Bremen
Manfred Bruns Bundesanwalt am Bundesgerichtshof a. D., Stuttgart
Günter Knebel Geschäftsführer Evangelische Arbeitsgemeinschaft zur Betreuung der Kriegsdienstverweigerer, Bremen
Prof. Dr. Franz Seidler Professor für Neuere Geschichte,  insbesondere Sozial- und Militärgeschichte an der Universität der Bundeswehr München
Prof. Dr. Armin Steinkamm Vorstand des Instituts für Wehr recht und des Instituts für Internationale Politik, Sicherheitspolitik, Wehr- und Völkerrecht der Universität der Bundeswehr München.

Hinsichtlich der Ergebnisse der Anhörung wird auf das Protokoll der 126. Sitzung mit den anliegenden schriftlichen Stellungnahmen der Sachverständigen verwiesen.

Der Rechtsausschuss hat die Vorlagen in seiner 128. Sitzung am 15. Mai 2002 abschließend beraten.

Die Fraktion der CDU/CSU machte deutlich, dass der Gesetzentwurf erhebliche Entschädigungsleistungen für die Betroffenen und ihre Angehörigen auslösen könne. Schätzungen besagten, dass etwa 250 000 Urteile aufzuheben seien. Hinsichtlich der Höhe und der Anspruchsvoraussetzungen einer möglichen Entschädigung enthalte der Gesetzentwurf jedoch keine Angaben. Auch würden durch das Gesetz Urteile aufgehoben, die nach heutigem Rechtsempfinden rechtmäßig ergangen seien. Eine Aufhebung würde daher neues Unrecht gegenüber den damaligen Richtern bedeuten, die bei weitem nicht alle Nationalsozialisten gewesen seien. Einige der Richter seien in die Wehrmachtsjustiz gegangen, weil sie in anderen Justizbereichen unter Druck geraten seien.

Die Fraktion der SPD wandte demgegenüber ein, die Frage einer möglichen Entschädigung sei bewusst nicht in den Gesetzentwurf aufgenommen worden. Auch sei dies nur ein vorgeschobenes Argument der Fraktion der CDU/ CSU, um sich gegen das eigentliche Anliegen des Gesetzentwurfs zu wenden.

Die Fraktion der CDU/CSU stellte den Antrag zu veranlassen, dass der Deutsche Bundestag den Gesetzentwurf nachträglich auch dem Haushaltsausschuss zur Beratung überweise zur Klärung der aufgeworfenen Fragen einer Entschädigung.

Dieser Antrag wurde mit den Stimmen der Fraktionen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und PDS gegen die Stimmen der Fraktion der CDU/CSU bei Enthaltung der Fraktion der FDP abgelehnt.

Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wies darauf hin, dass die Frage einer Entschädigung unhabhängig von dem vorliegenden Gesetzentwurf zu beurteilen sei. Bereits beim NS-AufhG sei betont worden, dass das Gesetz selbst keine unmittelbare entschädigungsrechtliche Wirkung auslöse. Im vorliegenden Gesetzentwurf gehe es darum, anerkanntes Unrecht im Nachhinein aufzuheben, um den Opfern ihre Würde zurückzugeben. Es sei zu begrüßen, dass es bei den Beratungen gelungen sei, bei bestimmten Fragen einvernehmlich weiterzukommen. Dies sei ein großer Gewinn für die Rechtskultur. Verurteilungen von Homosexuellen im Dritten Reich aufgrund von Bestimmungen des Österreichischen Strafgesetzbuches seien nach § 1 des Gesetzes als aufgehoben zu betrachten. Das sei immer dann schon offensichtlich, wenn sie sich auf Taten bezögen, die von den in der Anlage nun aufgeführten Strafnormen erfasst würden oder im Reich gar nicht strafbar gewesen seien (lesbische Handlungen).

Die Fraktion der FDP erklärte, sie unterstütze das Anliegen, Unrechtsurteile aus der NS-Zeit aufzuheben. Es bestehe jedoch kein Bedarf für das vorliegende Gesetz. Bereits in der Begründung werde festgestellt, dass sich das NS-AufhG grundsätzlich bewährt habe; es sei bisher kein Fall bekannt geworden, in dem eine beantragte Urteilsaufhebung verweigert worden wäre. Eine Einzelfallprüfung sei sehr viel wirksamer als eine pauschale Aufhebung, da sie den Einzelnen intensiver rehabilitiere. Bei homosexuellen Opfern ergebe sich aus einem Bericht der Bundesregierung, dass bis September 2000 kein Antrag auf Aufhebung eines entsprechenden Urteils gestellt worden sei. Da in diesem Bereich kein einziges Urteil nicht von nationalsozialistischem Unrecht kontaminiert sei, habe die Fraktion bereits bei den Beratungen zum NS-AufhG die Auffassung vertreten, dass alle Urteile erfasst würden.

Die Fraktion der PDS erklärte, dass sie den vorliegenden Gesetzentwurf begrüße und ihm zustimmen werde, obwohl eine Aufnahme des Themas Kriegsverrat wünschenswert gewesen wäre. Insoweit werde die Fraktion noch einen Änderungsantrag in der 2. und 3. Lesung stellen.

In seiner Schlussabstimmung beschloss der Rechtsausschuss mit den Stimmen der Fraktionen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und PDS gegen die Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und FDP zu empfehlen, den Gesetzentwurf auf Drucksache 14/8276 anzunehmen. Zu dem Antrag auf Drucksache 14/5612 beschloss er mit den Stimmen der Fraktionen SPD, CDU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP gegen die Stimmen der Fraktion der PDS zu empfehlen, den Antrag abzulehnen.

Berlin, den 15. Mai 2002

Margot von Renesse
Berichterstatterin
Dr. Jürgen Gehb
Berichterstatter
Volker Beck (Köln)
Berichterstatter
Jörg van Essen
Berichterstatter
Dr. Evelyn Kenzler
Berichterstatterin
 


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