Stand: Februar 2003
Bekämpfung antihomosexueller Gewalt
1. Die Arbeit des Lesben- und Schwulenverbandes (LSVD)
Der Lesben- und Schwulenverband (LSVD) ist die bundesweit
größte Organisation von Schwulen und Lesben. Der LSVD engagiert
sich für die rechtliche und gesellschaftliche Gleichstellung von
Lesben, Schwulen und Transgendern. Zu den Schwerpunkten der
Arbeit zählt das Engagement für die volle rechtliche Anerkennung
homosexueller Lebensgemeinschaften. Ebenso setzen wir uns dafür
ein, die Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Familien mit
Kindern abzubauen. Des weiteren engagieren wir uns für eine
wirksame Antidiskriminierungsgesetzgebung, wie sie in vielen
Nachbarländern Deutschlands seit langem besteht.
Der LSVD leistet Informationsarbeit durch Veranstaltungen,
Publikationen und über das Internet, um zu einer vertieften
Beschäftigung mit schwulen und lesbischen Themen einzuladen und
um für Akzeptanz zu werben (www.lsvd.de, www.homosexualitaet.de).
Als Solidarverband bietet der LSVD Beratung, Hilfe und
Unterstützung in allen Problemsituationen, mit denen Menschen
wegen ihrer Homosexualität konfrontiert werden. Dazu gehören
auch vielfältige Gewalterfahrungen.
Im Bereich der Bekämpfung antihomosexueller Gewalt hat unser
Verband in den vergangenen Jahren in verschiedenen Bundesländern
Kooperationsprojekte mit Polizeibehörden entwickelt. Diese
Zusammenarbeit soll einen angemessenen Umgang der Polizei mit
Schwulen und Lesben sicherstellen, durch Vertrauensbildung das
Anzeigeverhalten von Gewaltopfern verändern und auch präventiv
auf gewaltbereite Gruppen wirken.
Unter dem Motto „Liebe verdient Respekt" haben wir gemeinsam
mit verschiedenen Landespolizeien Öffentlichkeitskampagnen
durchgeführt, mit dem Ziel die Akzeptanz gleichgeschlechtlicher
Lebensweisen zu erhöhen und damit einen aktiven Beitrag zur
Gewaltprävention zu leisten. Zu den Maßnahmen gehörten z.B.
Großflächen-Plakate, Herausgabe gemeinsamer
Informationsmaterialen oder Radiospots. Zudem werden
Referentinnen und Referenten aus dem Bereich des LSVD bei
polizeilichen Fortbildungsmaßnahmen eingesetzt.
2. Thesen zur Prävention von Hass-Verbrechen
1.
Gewalt gegen Homosexuelle ist auch zu Beginn des 21.
Jahrhunderts ein gravierendes Problem. Für Schwule, Lesben und
Transgender gibt es bis heute No-go-areas: Stadtteile oder
Regionen, in denen sie es tunlichst vermeiden, als Lesbe,
Schwuler oder Transgender erkannt zu werden, weil ihnen sonst
gewalttätige Übergriffe drohen. Viele homosexuelle Jugendliche
berichten, dass sie im Coming-out-Prozess im familiären Bereich
mit Gewalt konfrontiert werden.
Empirische Untersuchungen kommen übereinstimmend zu dem
Ergebnis, dass jeder dritte bis vierte Schwule mindestens einmal
in seinem Leben Opfer antischwuler Gewalt wurde. In einer 1999
durchgeführten empirischen Befragung, an der sich etwa 3.000
schwule Männer beteiligten, berichteten 13 % der ostdeutschen
und 13 % der westdeutschen Befragten, dass sie in den
vorausgegangenen 12 Monaten wegen ihrer Homosexualität
beschimpft, beleidigt oder angepöbelt wurden. 2,2 % der
Westdeutschen und 3,7 % der Ostdeutschen berichteten, dass sie
in diesem Zeitraum Opfer körperlicher Gewalt wurden (Bochow,
Michael: Schwule Männer, AIDS und Safer Sex – Neue
Entwicklungen, Forum DAH Bd. 40, Berlin 2001. S. 125 f.).
Hinsichtlich lesbischer Frauen kommt eine vom Ministerium für
Frauen, Jugend, Familie und Gesundheit des Landes NRW in Auftrag
gegebene empirische Studie zu dem Ergebnis, dass jede dritte der
etwa 750 befragten Frauen in ihrem Leben bereits ausdrücklich
beleidigt, beschimpft und angepöbelt wurde. 44 % berichteten von
sexuellen Übergriffen und Belästigungen. Jede Vierte erlebte
körperliche Attacken und Bedrohungen im nicht sexuellen Bereich.
(Pressemitteilung der Frauen- und Familienministerin NRW, Birgit
Fischer, vom 13. Juli 1999).
2.
In Deutschland ist die Gewalt gegen homosexuelle Männer und
Frauen sowie Transsexuelle bislang kaum Thema öffentlicher
Diskussion. Anders in den USA. Dort hat die gesonderte
statistische Erfassung von Hassverbrechen bewirkt, dass die
Gewalt gegen Homosexuelle und Transgender weitaus stärker als
hierzulande in das öffentliche Bewusstsein gelangen konnte. Für
viele überraschend stellen dort Hassverbrechen aufgrund der
sexuellen Orientierung der Opfer regelmäßig die drittgrößte
Gruppe der Hate-Crime-Statistiken dar.
Die deutsche Kriminalwissenschaft und Kriminalpolitik haben
um das Thema der antihomosexuellen Gewalt bislang einen großen
Bogen gemacht. Wenn Schwulen- und Lesbenorganisationen von der
Politik gezielte Maßnahmen zur Bekämpfung antihomosexueller
Gewalt verlangen, erhalten sie oft die stereotype Antwort, man
sei gegen jedwede Gewalt, unabhängig von der sexuellen
Orientierung der Opfer. Derartige Bekenntnisse helfen nicht
weiter. Spezifische Formen der Gewalt bedürfen auch einer
gezielten Präventions- und Reaktionsstrategie.
Gewalttaten aus Hass gegen Minderheiten sind für die
Gesamtgesellschaft ein gravierendes Problem, weil sie über das
konkrete Opfer hinaus auf die Lebensbedingungen einer ganzen
Gruppe zielen. Von der amerikanischen Hate-Crime-Gesetzgebung
halten wir viele Instrumente, insbesondere die martialischen
Strafrahmen, nicht auf Deutschland übertragbar. Was aber an der
Hate-Crime-Gesetzgebung beeindruckt, ist das Bemühen, die
Gesamtgesellschaft für die spezifische Gefährdung von
Minderheiten zu sensibilisieren und für deren Schutz zu
mobilisieren. Ein wohldosierter Schuss solchen Engagements,
weniger bei der Repression, als vielmehr bei der Prävention,
täte auch der hiesigen Kriminalpolitik gut.
3.
Staatliche und gesellschaftliche Programme zur Bekämpfung
rechtsextremer und minderheitenfeindlicher Gewalt müssen
gewährleisten, dass alle Gruppen, gegen die sich Hassverbrechen
richten, einbezogen und angemessen berücksichtigt werden. Für
die Schwulen, Lesben und Transsexuellen kann hiervon bislang
keine Rede sein.
4.
Die Ursachen der Gewalt gegen Homosexuelle sind nicht in
wenigen Zeilen erschöpfend abzuhandeln. Nur ein Aspekt sei
besonders hervorgehoben. Die Täter im außerfamiliären Bereich
sind zumeist männliche Jugendliche mit einem eindimensionalen
und reduktionistischen Geschlechtsrollenverständnis. Schwule
gelten ihnen als Verkörperung des „Unmännlichen" und damit als
vogelfrei. Gewalt gegen Lesben richtet sich auch gegen autonome
Lebensentwürfe von Frauen. Gesellschaftliche Prävention muss
daher insbesondere am Verständnis von Geschlechterrollen
ansetzen.
5.
Wichtige Ansatzpunkte sind dabei insbesondere Schule, Sport-
und Jugendarbeit. Schulaufklärung in der Form, dass
schwul-lesbische Jugendprojekte in den Unterricht eingeladen
werden, ist bereits vielfach erprobt, wird aber noch viel zu
selten praktiziert. Für den Bereich von Sport- und Jugendarbeit
wären ähnliche Aktivitäten außerordentlich hilfreich, um
Informationen zu vermitteln, Fremdheiten und Ressentiments
abzubauen.
Wesentlich für den Schulbereich wäre zudem, dass
Informationen über homosexuelles Leben, über Geschichte und die
Situation der homosexuellen Minderheit in Deutschland in die
Lehrpläne integriert werden.
Viele Täter glauben, sich mit ihren Gewalttaten
gesellschaftskonform zu verhalten, weil sie antihomosexuelle
Einstellungen als „natürlich" voraussetzen. Jede Tabuisierung
dieses Themas bestärkt sie in diesem Irrglauben.
Günter Dworek
LSVD-Bundesvorstand
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