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Beschluss des 14. LSVD-Verbandstags 2002 Grundsatzpapier TransgenderDiskriminierung von Transgender beenden |
Diskriminierung von Transgender beendenTransgender sind Menschen, die sich nicht mit ihrer geschlechtlichen Zuweisung als "männlich" oder "weiblich" identifizieren können, oder deren Erleben ihrer selbst nicht den erwarteten Normen entspricht. Dies schließt explizit auch intersexuelle Menschen ein, die mit ihrer Geschlechtszuweisung Probleme haben. Transgender ist eine Variante geschlechtlicher Identität, die vielfach noch mit einem Tabu behaftet ist. Menschen, die das sichere Gefühl haben, einem anderen als dem zugewiesenen Geschlecht anzugehören, stoßen oft noch auf Unverständnis, Unbehagen und Ablehnung. Daneben kursieren reißerisch und voyeuristisch aufgeladene Phantasiebilder über Transgender, die mit der Lebensrealität von Transfrauen und Transmännern wenig zu tun haben. In den vergangenen Jahren haben sich viele Transgender von den ihnen zugeschriebenen Klischees emanzipiert. Der Rest der Gesellschaft ist ihnen nicht oder nur teilweise auf diesem Wege gefolgt. Trotz gewisser rechtlicher Fortschritte werden Transgender in vielen Bereichen weiterhin diskriminiert. ´ Transgender kämpfen seit vielen Jahren mit zunehmendem Erfolg gegen diese Diskriminierung und für die Anerkennung ihrer Geschlechtsidentität. Vieles mussten sie sich erst vor Gericht erstreiten, zum Beispiel das Recht, nach der Vornamensänderung auch entsprechend als Herr oder Frau angesprochen zu werden oder qualifizierende Zeugnisse rückwirkend ändern zu lassen. Die soziale Anerkennung wird Transgendern aber oft noch vorenthalten. Geschlecht allein als „biologisch gegeben" zu betrachten, greift zu kurz. Geschlechterrollen, gesellschaftliche Zuschreibungen und Leitbilder für Mann oder Frau sind historisch gesehen stetig im Fluss. Es findet ein ständiger Diskurs über Geschlechterrollen statt. Daran gilt es sich offensiv zu beteiligen, mit dem Ziel, die Akzeptanz von Transgender zu erreichen. Es geht darum, Transgender als eine der vielen Möglichkeiten menschlicher Existenz zu begreifen, also nicht als Störung oder Abweichung, sondern als einen Teil menschlicher Normalität. |
Auch unter Transgendern gibt es Menschen, die schwul, lesbisch oder bisexuell sind. Ebenfalls gibt es Transgender, die sich auch nach dem Geschlechtsrollenwechsel weiterhin der lesbischen oder schwulen Community zugehörig fühlen. Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass schwule Transmänner und lesbische Transfrauen ihren Platz im Lesben- und Schwulenverband haben. Ebenso selbstverständlich ist, dass die Lösung der besonderen Probleme lesbischer und schwuler Transgender ein Anliegen des Gesamtverbandes sein muss. Als Bürgerrechtsverband setzt sich der LSVD für die Rechte von Transgendern insgesamt ein, ohne nach der sexuellen Ausrichtung zu fragen. Unter unserem Dach sind alle willkommen, die sich für die Ziele Emanzipation, Partizipation und Integration engagieren wollen. Der LSVD unterstützt die Selbstorganisation von Transgendern und stellt dafür seine Infrastruktur zu Verfügung. Der LSVD wird in seiner Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit die Forderungen im Transgender-Bereich offensiv vertreten. |
2. Transgender in der schwulen und lesbischen Gemeinschaft In der schwul-lesbischen Gemeinschaft wird Transgendern meist offener begegnet als in der Gesamtbevölkerung. Dennoch treffen sie auch dort noch auf Unsicherheit, Unverständnis und teilweise auch auf Ablehnung. Vielfach herrscht einfach nur große Unwissenheit über Transgender-Fragen sowie über die Situation von Transgendern innerhalb der schwul-lesbischen Gemeinschaft. Der LSVD wirbt dafür, dass sich die schwule und lesbische Gemeinschaft verstärkt mit der Situation von Transgendern auseinandersetzt. Auch innerhalb unserer Community sollte der Diskurs über Geschlechterrollen und -identitäten gepflegt werden. Ebenso wichtig ist, dass die schwul-lesbischen Solidaritätsstrukturen auch für Transgender offen stehen. Transgender berichten, dass sich schwul-lesbische Beratungseinrichtungen mitunter als unzuständig erklären und damit auf ihre Fragen und Probleme nicht eingehen können. Von daher wäre es wünschenswert, dass sich schwul-lesbische Beratungseinrichtungen verstärkt des Themas annehmen und entsprechende Fortbildungsangebote geschaffen werden. Dabei sollte ausdrücklich auf qualifizierte Angebote der Organisationen von Transgendern zurückgegriffen werden. In der Jugendphase sind Probleme mit der Geschlechtsidentität oft besonders schwerwiegend und bedrückend. Daher ist es für die schwul-lesbische Jugendarbeit wichtig, die Integration von Transgendern zu fördern und das Problembewusstsein zum Themenkreis Transgender zu stärken. In der AIDS-Prävention sollte zielgruppenadäquates Material erstellt werden, das auf die physischen wie psychischen Gegebenheiten im Bereich Transgender eingeht. |
3. Forderungen an Politik und Gesellschaft 3.1. Reform des Transsexuellengesetzes Bei seiner Einführung 1981 hat das Transsexuellengesetz einen großen Fortschritt gebracht. Viele seiner Regelungen entsprechen aber nicht mehr dem heutigen Kenntnisstand. So diskriminiert die Rechtspraxis schwule und lesbische Transgender. Das Transsexuellengesetz enthält zahlreiche Regelungen, die sich sehr restriktiv ausgewirkt haben und teilweise mit der Würde des Menschen unvereinbar sind. Grund für diese restriktiven Vorschriften war die Angst vor „Missbrauch", z.B. die „Umgehung" des § 175 StGB, und vor einer hohen Zahl von „Rückumwandlungsbegehren". Über zwanzig Jahre Erfahrungen mit dem Transsexuellengesetz zeigen, dass diese Befürchtungen jeder Realität entbehren. Transgender müssen das Recht haben, ihre Lebensweise selbst zu bestimmen – in ihrer Identität bei der Ausgestaltung ihrer Geschlechtsrolle wie auch bei ihrer Partnerwahl. Die besondere Diskriminierung schwuler und lesbischer Transgender muss beendet werden. In diesem Sinne ist eine umfassende Reform des Transsexuellengesetzes nötig, damit es seinen Zweck erfüllen kann, das Leben der Transgender rechtlich, psychisch und sozial zu erleichtern. Im Transsexuellengesetz sind insbesondere folgende Reformen notwendig:
Das Transsexuellengesetz ermöglicht es Transgendern, einen Vornamen des anderen Geschlechts anzunehmen (mitunter als „Kleine Lösung" bezeichnet). Sie gelten aber bei alleiniger Änderung des Vornamens rechtlich weiterhin dem Ursprungsgeschlecht zugehörig. Voraussetzungen für eine Vornamensänderung sind, dass die Betreffenden seit mindestens drei Jahren unter dem Zwang stehen, sich dem anderen Geschlecht zugehörig zu fühlen, sowie die gutachterliche Prognose, dass sich das Zugehörigkeitsempfinden mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr ändern wird. Das sind viel zu hohe Hürden. Es muss ausreichen, dass die Betroffenen ihre geschlechtliche Identität durch den Vornamen eines anderen Geschlechts zum Ausdruck bringen wollen. Als zweite Möglichkeit sieht das Transsexuellengesetz eine auch personenstandsrechtlich geänderte Geschlechtszugehörigkeit vor (mitunter als „Große Lösung" bezeichnet). Voraussetzungen sind neben den Kriterien für die Vornamensänderung zusätzlich, dass die betreffende Person nicht verheiratet ist, dauernd fortpflanzungsunfähig ist und sich einer geschlechtsangleichenden Operation unterzogen hat. Ebenso wie bei der Vornamensänderung müssen auch bei der personenstandsrechtlichen Änderung der Geschlechtszugehörigkeit die Zugangsvoraussetzungen deutlich erleichtert werden. Wir treten insbesondere dafür ein, dass die Möglichkeit auf personenstandsrechtliche Änderung der Geschlechtszugehörigkeit vollständig vom Zwang zu operativen Eingriffen abgekoppelt wird. Diese Verknüpfung wird in vielen Fällen der Situation von Transgendern nicht gerecht. So werden mitunter Menschen zu aufwändigen Operationen gedrängt, die diese nicht oder zu diesem Zeitpunkt nicht benötigen. Auch Zwangskastrationen sind nicht akzeptabel. Transgender sind heute langwierigen und oft entwürdigenden medizinischen Begutachtungsverfahren unterworfen, bevor sie die Möglichkeit der Namensänderung oder der Änderung des Personenstandes erhalten. Dies muss dringend geändert werden.
Transgendern mit geändertem Vornamen ist es zur Zeit faktisch unmöglich, eine rechtlich abgesicherte Partnerschaft einzugehen: Sie dürfen keine Ehe mit einem Partner des juristisch gleichen Geschlechts schließen. Für eine Ehe mit einem Partner des juristisch anderen Geschlechts müssten sie dagegen ihren neuen Vornamen und die damit verbundenen sozialen Erleichterungen wieder aufgeben. Für vornamensgeänderte lesbisch oder schwul empfindende Transgender bringt auch das Lebenspartnerschaftsgesetz bislang keine Lösung, da sie vor dem Gesetz immer noch als ihrem Ausgangsgeschlecht zugehörig gelten, und ihre Beziehungen damit nicht als gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften eingestuft werden. Diese faktischen Lebenspartnerschafts- wie Eheverbote sind eine schwere Diskriminierung. Der LSVD setzt sich dafür ein, dass Transgender eine rechtlich abgesicherte Partnerschaft mit dem Partner bzw. der Partnerin ihrer Wahl eingehen können.
Die Ehe steht in Deutschland bislang nur Mann und Frau offen. Wenn ein verheirateter Transgender eine personenstandsrechtliche Änderung der Geschlechtszugehörigkeit anstrebt, schreibt das Transsexuellengesetz vor, dass die Ehe zuvor geschieden werden muss. Es kommt aber gar nicht selten vor, dass Ehepaare auch bei personenstandsrechtlicher Änderung der Geschlechtszugehörigkeit eines Partners zusammenbleiben wollen. Sie können zwar neuerdings nach erfolgter Scheidung und Änderung des Personenstandes eines der Partner eine Eingetragene Lebenspartnerschaft eingehen. Durch die Scheidungspflicht entstehen aber Wartezeiten und hohe Kosten. Emotionale Belastungen für die Beziehung können noch dazukommen. Der LSVD setzt sich seit jeher für die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare ein, wodurch der Scheidungszwang für Transgender bei personenstandsrechtlicher Änderung der Geschlechtszugehörigkeit automatisch wegfiele. Solange dies nicht erreicht ist, muss zumindest für solche Fälle ein nahtloser Übergang von der Ehe zur Eingetragenen Lebenspartnerschaft (bzw. umgekehrt) ohne aufwändiges Trennungsverfahren gesetzlich ermöglicht werden.
Bislang steht das Transsexuellengesetz faktisch nur Menschen mit deutscher Staatsbürgerschaft sowie anerkannten Asylberechtigten offen. Dadurch werden viele Menschen ausgegrenzt. Der LSVD setzt sich dafür ein, dass Ausländerinnen und Ausländer, die ihren rechtmäßigen Aufenthalt in Deutschland haben, die Möglichkeiten des Transsexuellenrechts in Anspruch nehmen können. So wird es beispielsweise im Transsexuellenrecht der Niederlande gehandhabt, wobei dort zusätzlich eine Mindestaufenthaltsdauer von einem Jahr vorgesehen ist. |
3.2. Schutz vor Diskriminierung Viele Länder in Europa haben bereits Antidiskriminierungsgesetze zum Schutz von Minderheiten erlassen. In Deutschland fängt dieser Prozess gerade erst an. Der LSVD kämpft dafür, dass in bestehenden und künftigen Diskriminierungsschutzbestimmungen auch Benachteiligungen und Anfeindungen aufgrund der sexuellen und geschlechtlichen Identität erfasst werden. Das gilt auch für die im europäischen Recht gebräuchliche Formel von der „sexuellen Ausrichtung". Zudem ist gemäß der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes festzuhalten, dass der Diskriminierungsschutz aufgrund des Geschlechts auch für Transgender Geltung hat. Viele Transgender müssen bei der Arbeitssuche wie am Arbeitsplatz Ausgrenzung und Anfeindungen erleben. Ein besonders wichtiges Feld ist daher der Ausbau des Diskriminierungsschutzes in der Arbeitswelt. Neben dem Ausbau des rechtlichen Diskriminierungsschutzes sind auch Maßnahmen zur Akzeptanzförderung in der Gesellschaft notwendig, insbesondere Aufklärungs- und Informationsarbeit. Dazu gehört auch, dass Transgender-Aspekte im Rahmen geschlechtsspezifischer Erziehungsarbeit berücksichtigt werden. Transgender werden in vielen Ländern dieser Welt verfolgt und an Leib und Leben bedroht. Auch für diese Verfolgungen aufgrund der sexuellen Identität muss in Deutschland Asyl und Abschiebeschutz gewährt werden. |
3.3. Selbstbestimmungsrecht und Medizin Der LSVD fordert Psychologie und Medizin, die ärztlichen Standesvertretungen und alle im Gesundheitswesen Tätigen auf, das Selbstbestimmungsrecht von Transgendern zu respektieren. Wir wenden uns strikt dagegen, Transgender als einen rein medizinisch-psychologisch zu behandelnden, pathologischen Zustand zu betrachten. Transgender ist keine Krankheit. Es ist vielmehr eine Normvariante des Geschlechtsempfindens, für die – um sie würdig leben zu können – oftmals medizinische und psychologische Hilfestellungen notwendig sind. Transgender müssen das Recht haben, über ihren Körper selbst zu bestimmen. Die Verfügbarkeit einzelner medizinischer Hilfen darf nicht davon abhängig gemacht werden, dass sich die Betreffenden auch bestimmten anderen Maßnahmen (insbesondere Psychotherapien und/oder der genitalangleichenden Operation) unterziehen. Hier darf kein Druck auf die Betroffenen ausgeübt werden. Umgekehrt aber müssen sämtliche geeigneten medizinischen Maßnahmen all jenen Menschen zur Verfügung stehen, die diese benötigen. Die Verfahren bei den Krankenkassen zur Kostenübernahme für geschlechtsangleichende Operationen sind oft sehr langwierig und belastend. Auch hier müssen die Verfahren vereinfacht und beschleunigt werden. [beschlossen auf dem 14. LSVD Verbandstag in Köln, 23.02.02] |
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