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Lesben- und Schwulenrechte in die Verfassung!

Verfassungsfragen sind immer auch Lebens- und Alltagsfragen. Wie verhält sich der Staat gegenüber sozialen Minderheiten? Wie werden Selbstbestimmung und freie Entfaltung von Menschen geschützt, die in ihrer Lebensweise von der Mehrheit abweichen? Diese Fragen sind für die individuelle Lebenssituation von Lesben und Schwulen von großer Bedeutung.

In Folge der demokratischen Revolution in der DDR hatte sich seit 1990 eine lebhafte Verfassungsdebatte entwickelt. Viele hatten gehofft, mit der Wiedervereinigung würde ein modernes, dem politischen und gesellschaftlichen Wandel angepasstes Grundgesetz entstehen können. Diese Chance wurde vertan. Die 1994 verabschiedete Verfassungsreform hat keine wesentliche Erweiterung der Freiheits- und Bürgerrechte gebracht.


Keine Gleichberechtigung

Nach wie vor bietet das Grundgesetz Lesben und Schwulen keinen ausdrücklichen Schutz vor Diskriminierung. Man erinnere sich: Bis 1969 war Homosexualität mit einem strafrechtlichen Totalverbot belegt. Das Bundesverfassungsgericht hatte dies mit der Begründung abgesegnet, das im Grundgesetz verankerte "Sittengesetz" erlaube es, die freie Entfaltung der Persönlichkeit einzuschränken. Bei der Verfassungsreform ist es nicht gelungen, dieses ominöse "Sittengesetz" aus dem Grundgesetz zu streichen. Auch die fortgeltende Fassung des Gleichbehandlungsgebots in Artikel 3, Absatz 3 hat bisher rechtliche Benachteiligungen von Schwulen nicht wirksam verhindert. Wesentliche Grundrechte, wie das der freien Meinungsäußerung, wurden von der

 

§ 175 vor dem Verfassungsgericht

1957 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass die 1935 verschärfte Fassung des §175 StGB nicht "in dem Maße national-sozialistisch geprägtes Recht" sei, dass ihm "in einem freiheitlich demokratischen Staat die Geltung versagt werden müsse." Karlsruhe urteilte: "Gleichgeschlechtliche Betätigung verstößt eindeutig gegen das Sittengesetz." §175 StGB verstoße daher nicht gegen das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit oder den Gleichheitsgrundsatz. Dabei konstatierte man mit kruden biologistischen Argumenten die "Rechtmäßigkeit" der Ungleichbehandlung von (strafbarer) männlicher und (straffreier) weiblicher Homosexualität. Dass Schwule dereinst so vermessen sein könnten, rechtliche Gleichstellung von Homo- mit Heterosexualität zu verlangen, kam den Sittengesetz-Apologeten in den roten Roben gar nicht erst in den Sinn.

Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof hat ein Verbot einvernehmlicher Homosexualität zwischen Erwachsenen als Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verurteilt. Das Grundgesetz schützt Homosexuelle also nicht einmal vor menschenrechtswidrigen Diskriminierungen.
 

Rechtsprechung für Schwule und ihre Organisationen eingeschränkt. So haben Kommunalbehörden mit richterlichem Segen noch in den 80er Jahren lnformationsveranstaltungen schwuler Organisationen wegen davon angeblich ausgehender Jugendgefährdung verboten.

Die Rechtlosigkeit schwuler Lebensgemeinschaften besteht fort. Nach wie vor stehen weiterhin nur die heterosexuelle Ehe und Familie unter dem besonderen Schutz des Staates. Die Diskriminierung anderer Lebensformen wurde beibehalten. Anstelle der notwendigen Ausweitung des Asylrechts auf Menschen, die wegen ihrer Homosexualität verfolgt werden, wurde das Grundrecht auf Asyl bereits 1993 gravierend beschnitten.


Lesben und Schwule machen mobil

Lesben und Schwule haben versucht, auf die Verfassungsdiskussion Einfluss zu nehmen Die gemeinsame Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat erhielt über 14.000 Eingaben, die eine Antidiskriminierungsklausel für Lesben und Schwule forderten.

Die Ökumenische Arbeitsgruppe Homosexuelle und Kirche (HuK) und der damalige SVD organisierten gemeinsam eine Prominenten-Initiative zur Unterstützung der Forderung nach Ergänzung des Artikels 3, Absatz 3 des Grundgesetzes. Zahlreiche Landespolitiker, Schriftsteller und Künstler unterzeichneten den Aufruf darunter Iris Berben, Hans-Jörg Felmy, Götz George, Günter Grass, Gottfried Helmwein, Reinhard Mey, Inge Meysel und Wim Wenders.

Mehrheit in der Verfassungskommission

Der öffentliche Druck zeigte Wirkung: SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, PDS sowie die SPD-geführten Länder schlossen sich der Forderung nach einer Antidiskriminierungsbestimmung an. Bei einer Anhörung der Verfassungskommission plädierten fünf von sieben Sachverständigen dafür.
 

 

Verfassungsforderungen

Art 3 Abs. 3 (Gleichheit vor dem Gesetz)

Fassung des Grundgesetzes:
Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

LSVD-Vorschlag:
Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner sexuellen Identität seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

Art. 6 Abs. 1 (Ehe, Familie, nichteheliche Lebensgemeinschaft)

Fassung des Grundgesetzes:
Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

LSVD-Vorschlag:
(Familie) Die Familie, das Zusammenleben von Menschen mit Kindern, pflege- oder anderweitig hilfsbedürftigen Menschen, steht unter dem besonderen Schutz und der Förderung des Staates.

(Ehe, Lebensgemeinschaften) Der Staat schützt die eheliche Lebensgemeinschaft. Gleich- und verschiedengeschlechtliche Lebensgemeinschaften sind gleichberechtigt.

(Lebensformen) Alle freigewählten Lebensformen haben Anspruch auf Schutz vor Diskriminierungen.

Am 17. Juni 1993 sprach sich die gemeinsame Verfassungskommission mit 27 zu 22 Stimmen bei drei Enthaltungen dafür aus, in den Gleichbehandlungsartikel eine Bestimmung aufzunehmen, wonach niemand aufgrund seiner sexuellen Identität benachteiligt werden darf. Die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit wurde allerdings durch den Widerstand von CDU/CSU und die Enthaltung der F.D.P. verfehlt.
Die Gegner argumentierten, das Grundgesetz wie auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts biete "bereits ausreichenden Schutz für Homosexuelle" - ein Hohn angesichts der Tausenden von Schwulen, die mit dem ausdrücklichen Segen des Verfassungsgerichts in den Knast gesteckt wurden. Überdies, so CDU/ CSU und F.D.P., wolle man keine "Änderungen allein aus Zeitströmungen heraus" und "ohne weiteren zwingenden Grund" vornehmen, da die "Verfassung durch die Atomisierung nach Gruppen Schaden nehmen könne." Im Klartext heißt das: Die Regierung hat sich eine staatliche Option auf Diskriminierung von Homosexuellen vorbehalten.
 

Ablehnung im Bundestag

Im Bundestag scheiterte die Forderung nach einem Diskriminierungsschutz für Lesben und Schwule an der Ablehnung von CDU/CSU und F.D.P. Für die F.D.P. argumentierte deren Abgeordneter Burkhard Hirsch, er "sehe ... keinen Mangel an Möglichkeiten, sich sexuell auszuleben". Sein Parteifreund Walter Hitschler sekundierte, dann müsse man auch "beispielsweise Linkshänder und Brillenträger" aufnehmen.

Dennoch kam es zu einer Erweiterung des Artikel 3, Absatz 3. Nach einem Machtwort von Kanzler Kohl gaben die Koalitionsparteien ihren anfänglichen Widerstand gegen ein Diskriminierungsverbot für Behinderte auf. Der Richtungsschwenk wurde mit den "zunehmenden gewalttätigen Übergriffen" auf Behinderte begründet. Man wolle dagegen ein "Signal" für einen "nachhaltigen Bewusstseinswandel" setzen. Den Schwulen und Lesben haben CDU/CSU und F.D.P. ein solches Signal gegen Gewalt kaltschnäuzig verweigert.

Nicht anders verlief die Entscheidung gegen eine Anerkennung nichtehelicher und homosexueller Lebensgemeinschaften in der Verfassung. Die Oppositionsparteien blieben in der Minderheit. Zwar brachte diesmal auch die F.D.P. einen Antrag ein, neben der Ehe auch andere auf Dauer angelegte Lebensgemeinschaften zu achten. Da ein großer Teil der F.D.P.-Fraktion aber gegen den eigenen Antrag stimmte, erhielt der im Bundestag nicht einmal eine einfache Mehrheit. Die Union hatte ohnehin klargestellt: "Der besondere Schutz von Ehe und Familie ist als grundlegende Wertentscheidung unserer Verfassung für die CDU/CSU nicht disponibel."


Verfassungsreform weiter notwendig

Die Niederlage in der Grundgesetzreform darf nicht entmutigen. Schon die intensive Diskussion über Schwulenrechte in der Verfassung hat den Handlungsspielraum für lesbische und schwule Bürgerrechtspolitik erweitert.

Beim Entstehen des Grundgesetzes galt Homosexualität noch als sittenwidrig. In den letzten 25 Jahren haben die Schwulen- und Lesbenbewegungen einen schrittweisen Wertewandel bewirkt. Der muss sich auch im Grundgesetz wiederfinden. Verfassungsbestimmungen müssen die gesellschaftliche Entwicklung widerspiegeln.

Auf und Länder- und Eu-Ebene schon Erfolge zu verzeichnen. Brandenburg, Berlin, Bremen und Thüringen schreiben in ihren Landesverfassungen ausdrücklich fest, dass niemand aufgrund seiner "sexuellen Identität" bzw. "sexuellen Orientierung" benachteiligt werden darf. Gleichlautende Bestimmungen enthalten der EG-Vertrag und und die EU-Charta. In Brandenburg und Berlin wird zudem die "Schutzbedürftigkeit anderer, auf Dauer angelegter Lebensgemeinschaften" in der Verfassung anerkannt.

Der LSVD hält an seinen Forderungen fest: Bundes- und Landesverfassungen müssen Lesben und Schwulen ohne Vorbehalt gleiche Rechte und Schutz vor Diskriminierung garantieren.


Was wir wollen

  • Verbot der Diskriminierung aufgrund der "sexuellen Identität"

    Der bisherige Gleichbehandlungsartikel konnte Lesben und Schwulen in der Vergangenheit keinen ausreichenden Schutz vor Benachteiligung gewährleisten. Die Einfügung des Kriteriums der "sexuellen Identität" soll Lesben und Schwulen endlich garantieren, was für alle anderen Bürger selbstverständlich ist: Gleiches Recht. Bislang von der Rechtsprechung noch ausdrücklich gebilligte Diskriminierungen würden unzulässig. Lesben und Schwule hätten einen einklagbaren Anspruch auf Gleichberechtigung.
     
  • Neufassung des Schutzes von Ehe, Familien und Lebensgemeinschaften
     
    In der Frage des Zusammenlebens von Menschen hinken Grundgesetz und Familienrecht dem gesellschaftlichen Wandel längst hinterher. Unter Hinweis auf den "besonderen Schutz von Ehe und Familie" werden nichteheliche Lebensgemeinschaften weiter diskriminiert, kinderlose Ehepaare steuerrechtlich privilegiert, Alleinerziehende benachteiligt und gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften erheblich benachteiligt.

    Der grundgesetzliche Schutz der Intimsphäre muss auf alle Lebensgemeinschaften ausgedehnt, die einseitige bevorzugte Förderung der Ehe abgebaut werden. Schwule Lebensgemeinschaften sollen die gleichen rechtlichen Möglichkeiten zur Ausgestaltung ihrer Lebensform erhalten wie heterosexuelle Paare.

    Auch andere Lebensformen, Singles, Alleinerziehende sowie alle übrigen Lebens- und Wohngemeinschaften sollen vor Diskriminierung geschützt werden.
     
     

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