Urteil des
Bundesverwaltungsgerichts
vom 27. Februar 1996 - BVerwG 1 C 41.93 - Teil 3
bb) Ein Erfordernis erweiternder Auslegung folgt
entgegen der Auffassung der Revision auch nicht aus dem
allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Art. 2 Abs. 1 GG schützt
in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG die engere persönliche
Lebenssphäre, insbesondere auch den Intim- und
Sexualbereich (BVerfG, NJW 1993, 1517 m.w.N.). Die
Freiheit, in (verschiedengeschlechtlicher) eheähnlicher
Gemeinschaft zu leben, ist Bestandteil des Rechts auf
freie Entfaltung der Persönlichkeit (BVerfGE 82, 6
[16]; 87, 234 [267]). Gleiches muß für die Freiheit
gelten, in gleichgeschlechtlicher Gemeinschaft zu leben
(vgl. auch Bruns, ZRP 1996, 6 [8]). Art. 2 Abs. 1 GG
kommt aber als Prüfungsmaßstab nur in Betracht, soweit
er aufenthaltsrechtliche Schutzwirkungen entfaltet. Art.
2 Abs. 1 GG trifft jedoch keine Regelungen über
Einreise und Aufenthalt. Art. 2 Abs. 1 GG regelt die
freie Entfaltung der Persönlichkeit für Menschen, die
sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten,
erlaubt aber im Rahmen der diese Freiheit beschränkenden
verfassungsmäßigen Ordnung auch Bestimmungen über den
Aufenthalt von Ausländern (BVerfGE 80, 81 [95 f.] mit
Hinweis auf BVerfGE 35, 382 [399]; 76, 1 [71]). Er
gebietet danach nicht, den aufenthaltsrechtlichen Schutz
für die Partner solcher Gemeinschaften, die nicht unter
dem besonderen Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG stehen, so
auszugestalten wie für Ehegatten und Familienangehörige.
Ferner gebietet der Gleichheitssatz des Art. 3 GG
keine erweiternde Auslegung der §§ 17 ff. AuslG
zugunsten des Klägers zu 1. Zwar unterliegt der
Gesetzgeber bei einer Ungleichbehandlung von
Personengruppen regelmäßig einer strengen Bindung
(vgl. BVerfGE 55, 72 [88]; 88, 87 [96]), die um so enger
ist, je mehr sich die personenbezogenen Merkmale den in
Art. 3 Abs. 3 GG genannten annähern und je größer
deshalb die Gefahr ist, dass eine an sie anknüpfende
Ungleichbehandlung zur Diskriminierung einer Minderheit
wird. Bei lediglich verhaltensbezogenen Unterscheidungen
ist zu berücksichtigen, inwieweit die Betroffenen in
der Lage sind, durch ihr Verhalten die Verwirklichung
der Merkmale zu beeinflussen, nach denen unterschieden
wird (vgl. BVerfGE 60, 123 [134]). Bei Regelungen, die
Personengruppen verschieden behandeln oder sich auf die
Ausübung von Grundrechten auswirken, ist zu prüfen, ob
für die Differenzierung Gründe von solcher Art und
solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleichen
Rechtsfolgen rechtfertigen können (BVerfGE 88, 87 [96
f.]).
Derartige Gründe bestehen für die Beschränkung der
Geltung von §§ 17 ff. AuslG auf Familienangehörige.
Die vom Gesetzgeber vorgenommene Differenzierung ist
nicht zu beanstanden, da sie der Wertentscheidung des
Grundgesetzes zum besonderen Schutz des Zusammenlebens
in Ehe und Familie gemäß Art. 6 Abs. 1 GG im oben
ausgeführten Sinne Rechnung trägt. Die Beschränkung
des Nachzugs auf Familienangehörige stellt eine
sachgerechte durch diese verfassungsrechtliche
Wertentscheidung und das öffentliche Interesse an der
Verhinderung einer unkontrollierten Zuwanderung
gerechtfertigte Einschränkung des Zuzugs von Ausländern
dar (vgl. auch VGH Kassel, NVwZ-RR 1994, 55 zu
verschiedengeschlechtlichen nichtehelichen
Lebensgemeinschaften).
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c) Auch aus Art. 8 Abs. 1 der Europäischen
Konvention zum Schutze der Menschenrechte und
Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (BGBl. 1952 II S.
686, 953/1954 II S. 14) - EMRK - ergibt sich kein
Anspruch des Klägers zu 1 auf Erteilung einer
Aufenthaltsgenehmigung. Nach dieser Bestimmung hat
jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und
Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs.
Aus Art 8 Abs. 1 EMRK folgt grundsätzlich kein Recht
des Ausländers, in ein bestimmtes Land einzureisen und
sich dort aufzuhalten. Der Ausschluss einer Person von
einem Land, in dem nahe Angehörige leben, kann aber das
Recht aus Art. 8 Abs. 1 EMRK verletzen (BVerwGE 65, 188
[195]; vgl. auch EGMR, EuGRZ 1985, 567 [570]). Bei der
Bestimmung der zur Erfüllung des Begriffs der
"Achtung" des Familienlebens notwendigen
Schritte haben die Vertragsstaaten mit Rücksicht auf
die Bedürfnisse und Mittel der Gemeinschaft und der
Individuen einen weiten Ermessensspielraum (EGMR, EuGRZ
1985, 567 [569]).
Die Europäische Kommission für die Menschenrechte
hat entschieden, dass gleichgeschlechtliche Beziehungen
nicht unter den Schutz des Rechts auf Achtung des
Familienlebens fallen (European Commission of Human
Rights, Decisions and Reports - D.R.-, Bd. 32, S. 220;
Bd. 47, S. 274). Allerdings steht der Begriff des
Familienlebens nicht ein für allemal fest. Der Europäische
Gerichtshof für die Menschenrechte und die Europäische
Kommission für die Menschenrechte legen ihn zeitbezogen
aus und berücksichtigen dabei die Fortentwicklung des
innerstaatlichen Rechts der Europaratsstaaten (EGMR,
EuGRZ 1979, 454 [457, 460]). Gesetzgeberische Maßnahmen
zugunsten gleichgeschlechtlicher Gemeinschaften in
einzelnen Mitgliedstaaten haben aber bisher nicht zu
einer allgemeinen europäischen Rechtsüberzeugung geführt,
dass der Anspruch auf Achtung des Familienlebens auf
derartige Gemeinschaften auszudehnen wäre (vgl.
Schweizerisches Bundesgericht, EuGRZ 1993, 562 [563];
Breitenmoser, EuGRZ 1993, 537 [541].
Des weiteren kann der Kläger zu 1 aus dem Recht auf
Achtung des Privatlebens nach Art. 8 Abs. 1 EMRK keinen
Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis
herleiten. Zwar können bestimmte Eingriffe in
gleichgeschlechtliche Beziehungen das Recht auf Achtung
des Privatlebens beeinträchtigen (EKMR, D.R. 32, 220
[221]; 47, 274 a.a.O.; Schweizer Bundesgericht a.a.O.;
zur hieraus abgeleiteten Unzulässigkeit
strafrechtlicher Sanktionen gegen homosexuelle
Handlungen EGMR, EuGRZ 1983, 488; 1992, 477). Ein
Anspruch auf Aufenthalt und Einreise ist daraus jedoch
grundsätzlich nicht abzuleiten. Selbst wenn in
Ausnahmefällen ein entsprechender Anspruch anzuerkennen
sein sollte, würde dies voraussetzen, dass das
Privatleben in dem betreffenden Land fest verankert ist
[vgl. EKMR, D.R. 32, 220 [222]; BVerwGE 66, 268 [273]].
Daran fehlt es hier.
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d) Ist die Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung
nicht rechtlich geboten, so ist sie andererseits auch
nicht nach § 7 Abs. 2 AuslG ausgeschlossen, da keiner
der in Nrn. 1 bis 3 dieser Vorschrift genannten
Regelversagungsgründe vorliegt.
Nach § 7 Abs. 2 Nr. 1 AuslG wird die
Aufenthaltsgenehmigung in der Regel versagt, wenn ein
Ausweisungsgrund vorliegt. Dieser Versagungsgrund greift
hier nicht durch. Zwar war die aufgrund seines
Aufenthaltserlaubnisantrags entstandene Duldungsfiktion
mit der Entscheidung des Beklagten über den Antrag
beendet (§ 69 Abs. 2 Satz 1 AuslG). Der Kläger zu 1
war nach § 42 Abs. 1 AuslG zur Ausreise verpflichtet.
Die Ausreisepflicht war auch nach § 42 Abs. 2 Satz 2
AuslG vollziehbar, da Widerspruch und Klage des Klägers
zu 1 gegen die Versagung der Aufenthaltsgenehmigung nach
§ 72 Abs. 1 AuslG keine aufschiebende Wirkung hatten
und sein Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ohne
Erfolg geblieben war. Dem Kläger zu 1 kann aber nicht
entgegengehalten werden, er habe sich entgegen § 3 Abs.
1 Satz 1 AuslG ohne Aufenthaltsgenehmigung im
Bundesgebiet aufgehalten und keine Duldung nach § 55
Abs. 1 AuslG besessen, so dass er einen Ausweisungsgrund
nach § 46 Nr. 2 AuslG verwirklicht habe (vgl. § 92
Abs. 1 Nr. 1 AuslG). Der angegriffene Bescheid ist nämlich
- wie noch auszuführen ist - aufzuheben, da er
rechtswidrig ist und den Kläger zu 1 in seinen Rechten
verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Aufhebung des
Bescheids beseitigt diesen ex tunc und führt dazu, dass
er keine rechtlichen Wirkungen mehr entfaltet. Das
bedeutet zugleich, daß die mit dem Erlaubnisantrag
verbundene Duldungsfiktion nach § 69 Abs. 2 Satz 1
AuslG (rückwirkend) Platz greift und den genannten
Ausweisungsgrund entfallen lässt. Eine Unterbrechung
der Duldungsfiktion kommt bei Aufhebung des ablehnenden
Verwaltungsakts durch eine unanfechtbare gerichtliche
Entscheidung ebensowenig in Betracht wie im
Anwendungsbereich des § 72 Abs. 2 Satz 2 AuslG eine
Unterbrechung der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts.
Damit ist der Ausweisungstatbestand des § 46 Nr. 2
AuslG nicht anwendbar. Offenbleiben kann, ob seine
Voraussetzungen ursprünglich erfüllt waren.
Auch die Voraussetzungen des § 7 Abs. 2 Nr. 2 AuslG
sind nicht gegeben. Der Kläger zu 2 hat erklärt, er
verfüge über ausreichende finanzielle Mittel, um für
den Lebensunterhalt des Klägers zu 1 aufzukommen. Es
besteht kein Grund, hieran zu zweifeln.
Schließlich führt der Umstand, dass der Kläger zu
1 im Hinblick auf das Fehlen der nach § 11 Abs. 1 Nr. 1
DVAuslG erforderlichen Zustimmung der Ausländerbehörde
ohne das für die beabsichtigte Aufenthaltsdauer
erforderliche Visum in das Bundesgebiet eingereist ist,
nicht dazu, dass sein Aufenthalt i.S. des § 7 Abs. 2
Nr. 3 AuslG aus einem sonstigen Grund Interessen der
Bundesrepublik Deutschland gefährdet. Die Anwendung
dieser Vorschrift ist insoweit durch die Sonderregelung
in § 8 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 AuslG ausgeschlossen (vgl.
aber auch Kloesel/Christ/Häußer, Deutsches Ausländerrecht,
§ 7 AuslG Rn. 41).
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e) Der Kläger zu 1 kann eine Ermessensentscheidung
über seinen Antrag auf eine Aufenthaltsgenehmigung
beanspruchen.
Eine Aufenthaltserlaubnis kann nach § 15 in
Verbindung mit § 7 Abs. 1 AuslG erteilt werden, wenn
der Ausländer den Aufenthalt zu einem Zweck erstrebt,
der von den einzelnen gesetzlichen Bestimmungen über
die Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung nicht erfasst
wird. § 15 AuslG definiert nicht nur die
Aufenthaltserlaubnis, sondern räumt zugleich der Ausländerbehörde
das Recht ein, unterhalb der Schwelle der im Gesetz
normierten zwingenden Rechtsvorschriften im Wege des
Ermessens über die Erteilung dieser speziellen
Aufenthaltsgenehmigung zu entscheiden (vgl. VGH Kassel,
NVwZ-RR 1992, 210 [212]; Kanein/Renner, Ausländerrecht
§ 15 AuslG Rn. 6; Fraenkel a.a.0. S. 65]. Ein
praktisches Bedürfnis besteht insoweit etwa in Fällen,
in denen ein Ausländer im Bundesgebiet ein selbständiges
Gewerbe ausüben oder als Freiberufler arbeiten möchte
(vgl. Kanein/Renner a.a.O. § 15 AuslG Rn. 6). Es
bestehen keine Anhaltspunkte dafür, daß der
Gesetzgeber die Ermessensentscheidung, die nach der früheren
Rechtslage (§ 2 Abs. 1 Satz 2 AuslG 1965) auch für
derartige Fälle vorgesehen war, entfallen lassen
wollte. § 15 in Verbindung mit § 7 Abs. 1 AuslG finden
somit in den Bereichen Anwendung, die gesetzlich nicht
bereits abschließend geregelt worden sind.
Eine abschließende Regelung ist hinsichtlich des vom
Kläger zu 1 geltend gemachten Aufenthaltszwecks - des
Daueraufenthalts zur Führung einer
gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft - nicht
gegeben. Die Vorschriften der §§ 17 ff. AuslG regeln
den Zuzug von Familienangehörigen. Dagegen regeln sie
nicht den Zuzug des Partners einer sonstigen
Lebensgemeinschaft. Da die gleichgeschlechtliche
Lebensgemeinschaft nicht dem Schutzbereich des Art. 6
Abs. 1 GG unterfällt, kann dem Kläger zu 1 nicht
entgegengehalten werden, sein Fall sei - negativ -
bereits in den §§ 17 ff. AuslG geregelt, die dem
Schutz von Ehe und Familie dienen (vgl. oben b, aa; a.M.
für verschiedengeschlechtliche eheähnliche
Lebensgemeinschaften VGH Kassel, NVwZ-RR 1994, 55).
Damit kann der Kläger zu 1 eine
Ermessensentscheidung nach § 15 in Verbindung mit § 7
Abs. 1 AuslG beanspruchen. Der Beklagte hat in dem
angegriffenen Bescheid von dem ihm eingeräumten
Ermessen keinen Gebrauch gemacht. Deswegen ist der
Bescheid rechtswidrig und verletzt den Kläger zu 1 in
seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, § 114 VwGO). Auf
den von den Klägern im Widerspruchsverfahren gestellten
Befangenheitsantrag (§ 21 VwVfG) kommt es somit nicht
an. Der Kläger zu 1 ist unter Beachtung der
Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden (§
113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).
Bei der von dem Beklagten zu treffenden
Ermessensentscheidung sind sämtliche für und gegen den
Aufenthalt des Klägers zu 1 im Bundesgebiet sprechenden
privaten und öffentlichen Belange gegeneinander abzuwägen.
Dabei ist u.a. die gleich-geschlechtliche
Lebensgemeinschaft zu berücksichtigen, die in den
Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG
und des Art. 8 Abs. 1 EMRK hinsichtlich des Anspruchs
auf Achtung des Privatlebens fällt.
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2. Die Klage des Klägers zu 2 ist zulässig, da die
von ihm behaupteten Rechte nicht offensichtlich und
eindeutig nach jeder Betrachtungsweise nicht bestehen
oder ihm nicht zustehen können (vgl. BVerwGE 18, 154
[157]; 95, 25 [27]).
Die Klage ist aber unbegründet. Eine
Aufenthaltsgenehmigung kann grundsätzlich nur derjenige
beanspruchen, der diese für seine Einreise oder seinen
Aufenthalt selbst benötigt, wobei offen bleiben kann,
ob dies auch im Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG gilt.
Hiervon gehen ersichtlich auch die §§ 69, 70 AuslG
aus, die die Beantragung der Aufenthaltsgenehmigung
regeln. Demgegenüber können Dritte, die an dem
Aufenthalt eines Ausländers im Inland interessiert
sind, grundsätzlich nicht beanspruchen, dass diesem zu
dem beabsichtigten Aufenthaltszweck eine
Aufenthaltsgenehmigung erteilt oder dass das Ermessen über
die Aufenthaltsgewährung rechtsfehlerfrei ausgeübt
wird, selbst wenn eine Beziehung angestrebt wird, die
als solche Grundrechtsschutz genießen würde. Aus einem
solchen Grundrechtsschutz ergibt sich grundsätzlich
nicht, dass dem Dritten im
Aufenthaltsgenehmigungsverfahren verfolgbare eigene
Rechte zustünden (vgl. z.B. auch Beschluss vom 24.
August 1979 - BVerwG 1 B 76.76 - Buchholz 402.24 § 2
AuslG Nr. 16, S. 102). Der Kläger zu 2 kann sich
demnach auch nicht auf die Vorschriften des § 15 in
Verbindung mit § 7 Abs. 1 AuslG berufen. Diese
Vorschriften kommen ihm zwar tatsächlich (reflexartig)
zugute, dienen aber nicht zugleich im Rechtssinne seinem
individuellen Schutz. Der Gesichtspunkt der
gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft ist im übrigen
- wie oben ausgeführt - im Rahmen des Antrages des Klägers
zu 1 mit dem ihm zukommenden Gewicht zu berücksichtigen,
also auch mit Blick darauf, dass an ihr ein deutscher
Staatsangehöriger beteiligt ist.
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