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Urteil des Bundesverwaltungsgerichts

vom 27. Februar 1996 - BVerwG 1 C 41.93 - Teil 1

veröffentlicht in: BVerwGE 100, 287; InfAuslR 1996, 294; DVBl. 1996, 1253; NVwZ 1997, 189; Streit 1996, 175

Zu diesem Urteil und dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster hat Hailbronner einen - vermutlich vom Bundesinnenministerium bestellten - sehr negativen Kommentar in NVwZ 1997, 460, geschrieben, auf den sich "böswillige" Ausländerbehörden immer wieder berufen. Dirk Siegfried hat dazu eine Entgegnung in NVwZ 1998, 151, veröffentlicht. Siehe auch Hochreuter, NJW 1998, 3677, Wegener, ZAR 1997, 87.


Leitsätze:

  1. Beantragt ein Ausländer ein Visum für den Zeitraum eines Jahres, um sich auf Dauer im Bundesgebiet aufzuhalten, und erteilt ihm die Auslandsvertretung ein Visum für drei Monate, so erlaubt diese zeitliche Beschränkung für sich genommen nicht den Schluss, es handle sich lediglich um ein Touristenvisum.
  2. Eine Aufenthaltserlaubnis kann aufgrund einer Ermessensentscheidung nach § 15 i.V.m. § 7 Abs. 1 AuslG erteilt werden, wenn der Ausländer den Aufenthalt zu einem Zweck erstrebt, der von den einzelnen gesetzlichen Bestimmungen über die Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung nicht erfaßt wird.
  3. Der ausländische Partner einer gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft hat keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung nach §§ 17, 18, 22, 23 AuslG. Diese Vorschriften schließen aber eine Ermessensentscheidung über die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 15 i.V.m. § 7 Abs. 1 AuslG im Hinblick auf eine gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaft nicht aus.
  4. Ist der eine Aufenthaltsgenehmigung versagende Bescheid rechtswidrig, weil die Ausländerbehörde von ihrem Ermessen keinen Gebrauch gemacht hat, so sind die Voraussetzungen von § 7 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 46 Nr. 2 AuslG nicht im Hinblick darauf gegeben, daß sich der Ausländer nach Versagung der Aufenthaltsgenehmigung entgegen § 3 Abs. 3 Satz 1 AuslG ohne Aufenthaltsgenehmigung im Bundesgebiet aufgehalten und keine Duldung nach § 55 Abs. 1 AuslG besessen hat (vgl. § 92 Abs. 1 Nr. 1 AuslG).

 

Gründe:

I.

Der 1971 geborene Kläger zu 1 ist thailändischer Staatsangehöriger. Am 2. Januar 1992 beantragte er bei der Deutschen Botschaft in Bangkok einen Sichtvermerk, um sich von Januar 1992 bis zum Januar 1993 im Bundesgebiet aufhalten zu können, und zwar zu dem Zweck "Erlernen der deutschen Sprache" und "Besuch" bei dem Kläger zu 2. Er fügte ein Schreiben des letzteren vom 6. Januar 1992 bei, wonach dieser ihn seit Dezember 1990 kenne, sich nahezu alle drei Monate in Thailand aufgehalten habe, um ihn zu sehen, und es sein Wunsch sei, sein "Leben weiterhin gemeinsam mit ihm zu verbringen". Die Deutsche Botschaft erteilte dem Kläger zu 1 nur ein vom 20. Januar bis zum 19. April 1992 gültiges Visum. Am 20. Januar 1992 reiste der Kläger zu 1 in das Bundesgebiet ein.

Die Kläger beantragten unter dem 27. Januar 1992, dem Kläger zu 1 eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen. Zur Begründung gaben sie u.a. an, sie lebten in einer Lebensgemeinschaft, die in jeder Hinsicht einer Ehe entspreche. An der Heirat hindere sie lediglich das bestehende Eheverbot für Homosexuelle.

Mit Verfügung vom 18. März 1992 lehnte das Landeseinwohneramt Berlin den Antrag ab und drohte dem Kläger zu 1 die Abschiebung an: Es bestehe ein zwingender Versagungsgrund, da der Kläger zu 1 mit unzureichendem Visum eingereist sei. Eine ausnahmsweise Erteilung der Aufenthaltserlaubnis im Ermessenswege komme nicht in Betracht, weil die Voraussetzungen eines Anspruchs auf eine Aufenthaltsgenehmigung nicht vorlägen.

Hiergegen haben die Kläger Widerspruch erhoben und im Verlauf des Widerspruchsverfahrens beantragt, den für die Bearbeitung des Widerspruchs zuständigen Beamten "von der weiteren Mitwirkung ... auszuschließen", da dieser gegenüber Homosexuellen befangen sei, wie sich in einem Telefonat gezeigt habe.

Die Kläger haben auch um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht. Das Verwaltungsgericht hat das Begehren mit Beschluss vom 5. Mai 1992 abgelehnt. Das Oberverwaltungsgericht hat die Beschwerde mit Beschluss vom 27. Mai 1992 zurückgewiesen. Die Kläger haben Verfassungsbeschwerde erhoben, welche das Bundesverfassungsgericht durch Beschluss vom 20. August 1992 mit der Begründung nicht zur Entscheidung angenommen hat, dass die Verpflichtung des Klägers zu 1, vor Abschluss des Hauptsacheverfahrens auszureisen, keine Grundrechte der Kläger verletzte.

Der Beklagte wies den Widerspruch durch Bescheid vom 25. September 1992 zurück und führte im wesentlichen aus: Es bestehe kein Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis. Die Nachzugsregelungen im Ausländergesetz erfassten homosexuelle Partnerschaften nicht.


Das Verwaltungsgericht hat die hiergegen erhobene Klage durch Gerichtsbescheid vom 25. Mai 1993 abgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht hat durch Urteil vom 26. Oktober 1993 das Verfahren hinsichtlich der Abschiebungsandrohung nach übereinstimmenden Erledigungserklärungen der Parteien eingestellt und im übrigen die Berufung der Kläger zurückgewiesen. Zur Begründung ist u.a. ausgeführt: Dem Kläger zu 1 müsse nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 AuslG jede Aufenthaltsgenehmigung versagt werden. Er habe zu seiner Einreise eines Visums bedurft, das nur nach vorheriger Zustimmung der Ausländerbehörde hätte erteilt werden dürfen, da er sich von Anfang an länger als drei Monate im Bundesgebiet habe aufhalten wollen. Der tatsächlich erteilte Touristensichtvermerk, auf den er sich statt des ihm inzident versagten ursprünglich beantragten ein Jahr gültigen Visums eingelassen habe, sei nicht das Visum, das er zwecks längeren Verbleibs benötigt habe. § 8 Abs. 1 Nr. 1 AuslG sei so auszulegen, dass immer dann die Erteilung der Aufenthaltsgenehmigung versagt werden müsse, wenn der Ausländer ohne das für ihn und zu seinem eigentlichen Aufenthaltszweck "erforderliche Visum" eingereist sei. Unabhängig davon sei nicht "offensichtlich" ein "Anspruch" auf eine Aufenthaltsgenehmigung nach dem Ausländergesetz gegeben (§ 9 Abs. 1 Nrn. 1, 2 AuslG). Es liege kein Fall des Zuzugs eines "ausländischen Ehegatten eines Deutschen" im Sinne des § 23 Abs. 1 Nr. 1 AuslG vor. Eine analoge Anwendung dieser Vorschrift komme nicht in Betracht. Die Ehe stelle die Vereinigung eines Mannes und einer Frau zu einer umfassenden Lebensgemeinschaft dar. Die Grundrechte auf Achtung und Schutz der Menschenwürde sowie Freiheit der Persönlichkeit entfalteten keine aufenthaltsrechtlichen Schutzwirkungen. Dies gelte hier ebenso hinsichtlich des Gleichheitssatzes. Damit schieden auch andere familien-, d.h. verwandtschaftsbedingte Zuzugsregelungen aus. Für die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis fehle es an den gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen. Danach sei auch die Klage des Klägers zu 2 unbegründet.

Mit ihrer vom Oberverwaltungsgericht zugelassenen Revision rügen die Kläger die Verletzung materiellen Bundesrechts. Die Auffassung des Oberverwaltungsgerichts, daß die Aufenthaltsgenehmigung bereits dann zwingend zu versagen sei, wenn der Ausländer ohne das für seinen beabsichtigten Aufenthaltszweck erforderliche Visum eingereist sei, stehe in Widerspruch zum Wortlaut des § 8 Abs. 1 Nr. 1 AuslG. Hätte der Gesetzgeber dies gewollt, so hätte er formuliert "ohne das erforderliche Visum". Dafür spreche auch die Systematik des Gesetzes: Wenn entsprechend der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts in Fällen wie dem vorliegenden § 8 Abs. 1 Nr. 1 AuslG anwendbar wäre, so wäre die Regelung des § 8 Abs. 1 Nr. 2 AuslG überflüssig. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts sei eine verfassungskonforme Interpretation der § 7 Abs. 1, §§ 17, 18, 22, 23 und 30 Abs. 2 AuslG mit dem Ergebnis geboten, dass dem Kläger zu 1 eine Aufenthaltsgenehmigung zu erteilen sei. Die Freiheit, in gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaft zu leben, sei Bestandteil des Rechts der Kläger auf freie Entfaltung der Persönlichkeit aus Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG. Dazu gehöre auch die Freiheit, diese Partnerschaft an einem bestimmten Ort - in Berlin, dem Lebensmittelpunkt des Klägers zu 2 - und in einer bestimmten Intensität, nämlich dauerhaft und nicht nur in einer Besuchsgemeinschaft, zu führen. Durch die angefochtenen Entscheidungen werde außerdem das Recht der Kläger aus Art. 3 Abs. 1 GG auf Gleichbehandlung mit heterosexuellen Lebensgemeinschaften verletzt. Das Bedürfnis Homosexueller, mit einem bestimmten Menschen in Lebensgemeinschaft zusammenzuleben, sei dem Heterosexueller gleich zu bewerten. Die Homosexualität stelle ein unabänderliches persönliches Merkmal dar. Dieses Merkmal sei in einer Weise identitätsbildend, dass es den in Art. 3 Abs. 3 GG aufgeführten Merkmalen sehr nahe komme, insbesondere dem des Geschlechts.

Die Kläger beantragen,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils des Oberverwaltungsgerichts Berlin vom 26. Oktober 1993 und des Gerichtsbescheids des Verwaltungsgerichts Berlin den Bescheid des Beklagten vom 18. März 1992 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 25. September 1992 aufzuheben, soweit darin die Aufenthaltserlaubnis versagt worden ist, und den Beklagten zu verpflichten, dem Kläger zu 1 eine Aufenthaltsgenehmigung zu erteilen.

Der Beklagte tritt der Revision entgegen und verteidigt das Berufungsurteil.


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