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Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster

vom 07. August 1996 - 17 A 1093/95 - Teil 1


veröffentlicht in: InfAuslR 1997, 198; NVwZ 1997, 512; Streit 1996, 179

Zu diesem Urteil und dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts hat Hailbronner einen - vermutlich vom Bundesinnenministerium bestellten - sehr negativen Kommentar in NVwZ 1997, 460, geschrieben, auf den sich "böswillige" Ausländerbehörden immer wieder berufen. Dirk Siegfried hat dazu eine Entgegnung in NVwZ 1998, 151, veröffentlicht. Siehe auch Hochreuter, NJW 1998, 3677, Wegener, ZAR 1997, 87.


Leitsatz:

Zu den Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung eines Visums zur Führung einer gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet (hier: Einzelfall einer erfolgreichen Verpflichtungsklage eines rumänischen Staatsangehörigen und seines deutschen Partners).

Tatbestand:

Der am 22. Februar 1960 geborene Kläger zu 1. ist rumänischer Staatsangehöriger. In den Jahren 1990 und 1991 hielt er sich zur Durchführung eines Asylverfahrens im Bundesgebiet auf, wo er den Kläger zu 2., einen deutschen Staatsangehörigen, kennenlernte. Nach negativem Abschluss des Asylverfahrens reiste der Kläger zu 1. im September 1991 aus. In der Folgezeit stellte er in Belgien einen neuen Asylantrag.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 17. Mai 1993 beantragten die Kläger beim Generalkonsulat der Beklagten in Lüttich (Generalkonsulat) die Erteilung eines Visums für den Kläger zu 1. zur Führung einer gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft mit den Kläger zu 2.. In der Begründung heißt es: Die Kläger seien unumkehrbar homosexuell im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Zwischen ihnen bestehe eine Lebensgemeinschaft, die in jeder Hinsicht einer Ehe entspreche. Seit der Ausreise des Klägers zu 1. aus dem Bundesgebiet werde die Lebensgemeinschaft durch regelmäßige Besuche des Klägers zu 2. aufrechterhalten. Im Laufe der Zeit sei zwischen den Klägern eine intensive Beziehung entstanden, die nun zu dem Wunsch geführt habe, in Nürnberg in dauerhafter Lebensgemeinschaft eheähnlich zusammenzuleben. An der Eingehung einer Ehe hindere sie lediglich das bestehende Eheverbot für Homosexuelle. Nach dem Gleichbehandlungsgrundsatz seien auf sie die für Ehepartner geltenden Regelungen des Ausländerrechts entsprechend anwendbar. Folge man dieser Argumentation nicht, sei jedenfalls § 22 AuslG anwendbar. In anderen Rechtsgebieten sei anerkannt, dass homosexuelle Lebenspartner als "andere Familienangehörige" gelten oder jedenfalls wie solche zu behandeln seien. Der betreffenden Rechtsprechung liege der Gedanke zugrunde, dass zwischen homosexuellen Lebenspartnern eine mindestens so intensive Beziehung bestehe wie zwischen anderen sonstigen Familienangehörigen. Die weiteren Voraussetzungen des § 22 AuslG seien ebenfalls gegeben. Die Wohnung des Klägers zu 2. biete ausreichenden Platz für ihn und den Kläger zu 1.. Der Kläger zu 2. sei auch bereit und in der Lage, für den Lebensunterhalt des Klägers zu 1. aufzukommen. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis sei zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte erforderlich. Dies ergebe sich zum einen daraus, dass die Kläger durch das Eheverbot bei Gleichgeschlechtlichkeit gehindert seien, über eine Eheschließung das Aufenthaltsrecht des Klägers zu 1. abzusichern, und zum anderen daraus, dass es den Klägern nicht zumutbar sei, ihre Partnerschaft gegen ihren Willen im Ausland zu führen. Letzteres gelte schon deshalb, weil in Rumänien selbst die einverständliche Homosexualität unter erwachsenen Partnern mit Freiheitsstrafe bedroht sei. Jedenfalls sei eine Aufenthaltsbefugnis gemäß § 30 Abs. 2 AuslG zu erteilen.

Unter dem 20. Juli 1993 stellte der Kläger zu 1. einen entsprechenden Formblattantrag.

Das. Generalkonsulat hörte die Kläger persönlich an und legte sodann mit Schreiben vom 27. Juli 1993 den Antrag der Beigeladenen zur Entscheidung über die erforderliche Zustimmung vor. In dem Begleitschreiben heißt es unter anderem: Das Generalkonsulat habe den Eindruck gewonnen, dass die Lebensgemeinschaft zwischen den Klägern ernst gemeint und auf Dauer angelegt sei. Da sich der Kläger zu 1. gegenwärtig nicht in Deutschland aufhalten dürfe, werde die seit Jahren bestehende Gemeinschaft durch Besuche des Klägers zu 2. aufrechterhalten. Die Kläger strebten ein eheähnliches Zusammenleben und die Möglichkeit an, füreinander da zu sein und sich gegenseitig zu helfen.

Mit Schreiben vom 16. August 1993 verweigerte die Beigeladene die Zustimmung zur Visumserteilung mit der Begründung, dass eine gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaft nicht dem Schutz von Ehe und Familie gemäß Art. 6 GG unterfalle und die Voraussetzungen der § 22, 23 AuslG nicht vorlägen.

Daraufhin lehnte das Generalkonsulat den Visumsantrag mit Formularbescheid vom 20. August 1993 ab.


Die Kläger haben am 4. September 1993 Klage erhoben. Zur Begründung haben sie ausgeführt: Neben dem Kläger zu 1. sei auch der Kläger zu 2. klagebefugt, da ihn die Versagung des Visums in einer eigenen grundrechtlich geschützten Position betreffe, indem ihm das Recht verwehrt werde, in Deutschland mit seinem ausländischen Lebenspartner zusammenzuleben. Dies sei nicht bloß ein zufälliger Reflex des Ablehnungsbescheides sondern dessen bestimmungsgemäßer Regelungsinhalt. Die Klage sei auch begründet. Die Vorschriften über den Familiennachzug seien verfassungskonform dahin auszulegen, dass dem ausländischen Partner einer gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft der Aufenthalt im Bundesgebiet zu ermöglichen sei. Folge man dem nicht, so sei jedenfalls die Ermessensregelung in § 7 Abs. 1 AuslG anwendbar. Wenn der Aufenthaltszweck der Führung einer gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft keiner besonderen Regelung unterliege, sei diese Vorschrift für derartige Fälle eine allgemeine Ermächtigungsgrundlage zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach Ermessen. Jedenfalls seien aber die Voraussetzungen des § 30 Abs. 2 AuslG gegeben. Ein Visumsanspruch ergebe sich im übrigen auch unmittelbar aus Art. 8 Abs. 1 EMRK unter Zugrundelegung der einschlägigen Spruchpraxis der Europäischen Kommission für Menschenrechte. Denn die Zerstörung einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft durch ausländerbehördliche Maßnahmen verstoße gegen das Recht auf Achtung des Privatlebens, wenn die Partnerschaft nirgends sonst gelebt werden könne und das Leben in einem bestimmten Land ein wesentliches Element dieser Partnerschaft sei. Dies sei hier der Fall, da ein Zusammenleben in Rumänien in Hinblick auf die dort bestehende Strafbarkeit der Homosexualität nicht in Betracht komme. Der Kläger zu 1. sei in seinem Heimatland wegen seiner Homosexualität belästigt und bedroht worden. Falls das Gericht zu der Auffassung gelange, dass das Ausländergesetz die Erteilung eines Visums nicht zulasse, sei gemäß Art. 100 GG die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen.

Die Kläger haben schriftsätzlich beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids ihres Generalkonsulats in Lüttich vom 20. August 1993 zu verpflichten, dem Kläger zu 1. ein Visum zur Führung einer gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft zu erteilen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat geltend gemacht: Dem Kläger zu 2. fehle die Klagebefugnis. Das Generalkonsulat habe aufgrund der Zustimmungsverweigerung der Beigeladenen die Erteilung eines Visums ablehnen müssen. Die Beklagte teile die Auffassung der Beigeladenen, Art. 6 GG gestehe ausdrücklich der Ehe und der Familie einen besonderen Schutz durch die staatliche Ordnung zu. Da es kein grundsätzlich garantiertes Recht auf Zusammenleben gebe, könnten sich die Kläger auch nicht auf den Gleichheitsgrundsatz berufen. Auch die Regelung des § 22 AuslG für "sonstige Familienangehörige" sei nicht anwendbar, da das Ausländerrecht bewusst auf familienrechtliche Bindungen abziele und hierbei auch explizit zwischen verschiedenen Verwandtschaftsbeziehungen differenziere. Eine analoge Qualifizierung von homosexuellen Partner als "andere Familienangehörige" sei im Ausländerrecht nicht möglich.

Die Beigeladenen hat ebenfalls beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat ausgeführt: Nach geltendem Recht könne eine gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaft nicht den Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 GG beanspruchen Die ausländerrechtlichen Bestimmungen über den Familiennachzug fänden somit keine Anwendung. Auch § 22 AuslG sei nicht einschlägig, da der Ehe- und Verwandtschaftsbegriff durch die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches begrenzt werde und somit der auch für § 22 AuslG vorauszusetzende Schutzbereich des Art. 6 GG nicht gegeben sei.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch den angefochtenen Gerichtsbescheid, den Klägern zugestellt am 18. Januar 1995, abgewiesen. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf den Gerichtsbescheid Bezug genommen.
 

Die Kläger haben am 4. Februar 1995 Berufung eingelegt. Zur Begründung führen sie aus: Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts gewähre Art. 8 Abs. 1 EMRK nicht lediglich ein Abwehrrecht gegenüber Maßnahmen der Eingriffsverwaltung, sondern könne darüber hinaus auch die Verpflichtung eines Vertragsstaates zur Gestattung der Einreise begründen. Dies sei hier der Fall, da der Nachzug zu einem deutschen Staatsangehörigen in Rede stehe, dem eine Wohnsitznahme im Heimatland des Partners nicht zugemutet werden könne. Darüber hinaus sei die Führung einer gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft mit einem selbst gewählten Partner durch Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG grundrechtlich geschützt; hiermit habe sich der angefochtene Gerichtsbescheid nicht auseinandergesetzt. Aus Art 3 Abs. 1 GG ergebe sich ein Anspruch homosexueller Partner auf zumindest partielle Gleichbehandlung mit Ehepartnern. Insoweit sei entscheidend, dass es regelmäßig jedem heterosexuellen deutschen Staatsangehörigen möglich sei, durch Heirat die Einreise seines ausländischen Lebensgefährten zu ermöglichen. Gerade weil homosexuellen Partnern die Eheschließung untersagt sei, sei ihnen der Zuzug zur Führung einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft zu gestatten. Das geltende Ausländerrecht sei daher im Sinne der Europäischen Menschenrechtskonvention und verfassungskonform auszulegen. Dies führe dazu, dass hier eine Aufenthaltsgenehmigung bereits in entsprechender Anwendung der Regelungen über den Ehegattennachzug für Ehepartner deutscher Staatsangehöriger zu erteilen sei. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber sich bewusst gegen ein Bleiberecht für gleichgeschlechtliche Lebenspartner entschieden habe. Vielmehr sei im Zeitpunkt der Verabschiedung des Ausländergesetzes 1990 die diesbezügliche Problematik noch nicht in das Bewusstsein der Öffentlichkeit und auch des Gesetzgebers getreten. Zumindest seien die Regelungen der §§ 22 und 23 AuslG über den Nachzug "sonstiger Familienangehöriger" direkt oder jedenfalls entsprechend anwendbar. Verneine man die direkte oder entsprechende Anwendung der Regelungen über den Ehegatten- oder Familiennachzug, liege hier jedenfalls die Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung im Ermessen der Auslandsvertretung gemäß §§ 7, 15 AuslG. Schließlich sei zumindest § 30 Abs. 1 AuslG als ermessensbegründender Auffangtatbestand anwendbar. Das Ermessen der Beklagten sei auf Null reduziert. Zur weiteren Begründung ihrer Berufung beziehen sich die Kläger unter anderem auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Februar 1996 (InfAuslR 1996, 294).

Sie beantragen,

den angefochtenen Gerichtsbescheid zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids ihres Generalkonsulats in Lüttich vom 20. August 1993 zu verpflichten, dem Kläger zu 1. ein Visum zur Führung einer gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft zu erteilen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie vermag der Berufungsbegründung keine grundsätzlich neuen Aspekte zu entnehmen. Entscheidend sei, dass Art. 6 GG nur die bürgerlich-rechtliche Ehe schütze, nicht jedoch sonstige Lebensgemeinschaften.

Die Beigeladene stellt keinen Antrag.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten und der Beigeladenen.


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