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Urteil des Bundesverwaltungsgerichts

vom 27. Februar 1996 - BVerwG 1 C 41.93 - Teil 2

II.

1. Die Revision des Klägers zu 1 ist begründet. Sie führt zur Verpflichtung des Beklagten, den Kläger zu 1 erneut zu bescheiden. Das Berufungsurteil beruht insoweit auf einer Verletzung von Bundesrecht.

Auf die vom Kläger der Sache nach erstrebte Verlängerung der ihm als Visum erteilten Aufenthaltsgenehmigung finden dieselben Vorschriften Anwendung wie auf die Erteilung (§ 13 Abs. 1 AuslG).

a) Der Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung an den Kläger zu 1 steht nicht der Versagungsgrund des § 8 Abs. 1 AuslG entgegen.

Im vorliegenden Fall kommt allein § 8 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 AuslG in Betracht. Danach wird die Aufenthaltsgenehmigung auch bei vorliegen der Voraussetzungen eines Anspruchs nach dem Ausländergesetz versagt, wenn der Ausländer ohne erforderliches Visum eingereist ist (Nr. 1) oder wenn er mit einem Visum eingereist ist, das aufgrund seiner Angaben im Visumsantrag ohne erforderliche Zustimmung der Ausländerbehörde erteilt worden ist (Nr. 2). Diese Vorschrift knüpft an § 3 AuslG an. Nach dessen Abs. 1 Satz 1 bedürfen Ausländer für die Einreise und den Aufenthalt im Bundesgebiet grundsätzlich einer Aufenthaltsgenehmigung, die nach § 3 Abs. 3 Satz 1 AuslG vor der Einreise in der Form des Sichtvermerks (Visum) einzuholen ist, soweit nicht durch Rechtsverordnung anderes bestimmt ist (§ 3 Abs. 3 Satz 2 AuslG).

Zweck des § 8 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 AuslG ist es, die Einhaltung der Visumsbestimmungen zu gewährleisten. Diese bezwecken, daß über den Aufenthalt entschieden wird, bevor der Ausländer eingereist ist. Dementsprechend ist die Nichteinhaltung der Visumspflicht als zwingender Versagungsgrund ausgestaltet (BTDrucks 11/6321, S. 57). Ausnahmen und Befreiungen sind lediglich unter den Voraussetzungen des § 9 AuslG möglich.


aa) Die Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 Nr. 1 AuslG sind in Rechtsprechung und Literatur umstritten. Teilweise wird die Auffassung vertreten, ein Ausländer sei nur dann "ohne erforderliches Visum" eingereist, wenn er ohne (irgendein) Visum in die Bundesrepublik Deutschland gelangt ist (vgl. z.B. Fraenkel, Einführende Hinweise zum neuen Ausländergesetz, S. 45; Kloesel/Christ/Häußer, Deutsches Ausländerrecht § 8 AuslG Rn. 10). Dagegen meint das Berufungsgericht, auch die Einreise mit einem unzureichenden Visum erfülle die Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 Nr. 1 AuslG (vgl. auch Renner, NVwZ 1993, 729 [735 f.]). Ohne erforderliches Visum wäre danach auch derjenige Ausländer eingereist, der zwar mit einem Visum, aber ohne ein seinem beabsichtigten Aufenthaltszweck oder seiner beabsichtigten Aufenthaltsdauer entsprechendes Visum ins Bundesgebiet gelangt ist.

Der Kläger zu 1 ist unabhängig von dieser Streitfrage nicht "ohne erforderliches Visum" eingereist, so daß offenbleiben kann, welcher der beiden Auffassungen zu folgen ist. Keiner Entscheidung bedarf auch die Frage, ob bei der Beurteilung eines Verstoßes gegen die Visumspflicht nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 AuslG auf die Einreise abzustellen ist (so Kanein/ Renner, Ausländerrecht, 6. Aufl. § 8 AuslG Rn. 6) oder ob es allein auf den (später gestellten) Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung ankommt (so Fraenkel a.a.0. S. 45).

Da der Kläger zu 1 die Voraussetzungen einer Befreiung vom Erfordernis der Aufenthaltsgenehmigung nach §§ 1 ff. der Verordnung zur Durchführung des Ausländergesetzes vom 18. Dezember 1990 (BGBl. I S. 2983) - DVAuslG - und die Voraussetzungen für die Einholung der Aufenthaltsgenehmigung nach der Einreise gemäß § 9 DVAuslG nicht erfüllte, hatte er vor der Einreise nach § 3 Abs. 3 AuslG eine Aufenthaltsgenehmigung in der Form eines Sichtvermerks (Visum) einzuholen. Dementsprechend hat er bei der Deutschen Botschaft in Bangkok einen Sichtvermerk beantragt, um sich von Januar 1992 bis Januar 1993 im Bundesgebiet aufhalten zu können, und zwar zu dem Zweck "Erlernen der deutschen Sprache" und "Besuch" bei dem Kläger zu 2. Dieser erklärte in dem vom Kläger zu 1 seinem Antrag beigefügten Schreiben vom 6. Januar 1992, sein Wunsch sei es, sein Leben weiterhin gemeinsam mit dem Kläger zu 1 zu verbringen. Die Deutsche Botschaft in Bangkok erteilte dem Kläger zu 1 daraufhin einen Sichtvermerk für die Zeit vom 20. Januar 1992 bis zum 19. April 1992, der außer der Auflage "Erwerbstätigkeit nicht gestattetet" und dem Hinweis "Aufenthaltsanzeige nach Einreise" keine weiteren Zusätze enthält.

Das Berufungsgericht hat darin ein Touristenvisum zum besuchsweisen Aufenthalt gesehen. Dieser - vom Berufungsgericht nicht begründeten - rechtlichen Würdigung ist nicht zu folgen. Weder dem Ausländergesetz noch der Verordnung zur Durchführung des Ausländergesetzes kann entnommen werden, dass aus der bewilligten Aufenthaltsdauer von drei Monaten auf ein Touristenvisum zu schließen wäre. Im übrigen entspricht es - wie auch der Beklagte in der mündlichen Verhandlung bestätigt hat - üblicher Verwaltungspraxis der Auslandsvertretungen, die Geltungsdauer eines Visums - unbeschadet des auf längere Dauer angelegten Aufenthaltszwecks -auf drei Monate zu befristen (vgl. Teipel, ZAR 1995, 162 (168) m.w.N.) und die Verlängerung der inländischen Ausländerbehörde zu überlassen.

Maßgeblich für die Auslegung des Visums ist dessen objektiver Erklärungswert. Dabei ist grundsätzlich auf den Empfängerhorizont abzustellen. Unklarheiten gehen zu Lasten der Verwaltung. Der Kläger zu 1 beabsichtigte nach den Feststellungen des Berufungsgerichts von Anfang an, sich länger als drei Monate im Bundesgebiet aufzuhalten. Er strebte von vornherein eine Lebensgemeinschaft mit dem Kläger zu 2 und damit einen Daueraufenthalt im Bundesgebiet an. Dies brachte er unbeschadet seiner weiteren Angaben auch in seinem Visumsantrag deutlich zum Ausdruck, indem er das Schreiben des Klägers zu 2 vom 6. Januar 1992 beifügte und damit zum Gegenstand seines Antrags machte. Weder aus dem Visum noch aus sonstigen Umständen ergibt sich, dass dieses Visum zu einem anderen als dem vom Kläger zu 1 angegebenen Aufenthaltszweck erteilt werden sollte. Es liegen insbesondere keine tatsächlichen Anhaltspunkte dafür vor, dass in Wahrheit sein Antrag abgelehnt und ihm - mit seinem u.U. konkludent erklärten Einverständnis - lediglich ein Touristenvisum erteilt wurde. Demnach ist das Visum dahin auszulegen, dass es dem Kläger zu 1 im Hinblick auf den von ihm angestrebten Daueraufenthalt im Bundesgebiet erteilt wurde.

Dem steht nicht entgegen, dass es die Botschaft versäumt hat, die nach § 11 Abs. 1 Nr. 1 DVAuslG erforderliche vorherige Zustimmung der zuständigen Ausländerbehörde einzuholen. Insbesondere kann hieraus nicht, namentlich nicht aus der Sicht des Empfängers, geschlossen werden, dass das Visum zu einem anderen als dem beabsichtigten Aufenthaltszweck erteilt werden sollte. Da der Kläger zu 1 somit nicht ohne erforderliches Visum eingereist ist, ist der Versagungsgrund des § 8 Abs. 1 Nr. 1 AuslG nicht gegeben.


bb) Auch die Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 Nr. 2 AuslG sind nicht erfüllt. Diese Vorschrift bildet einen eigenständigen Versagungsgrund, der voraussetzt, dass der Ausländer mit einem Visum eingereist ist, das aufgrund seiner Angaben im Visumsantrag ohne erforderliche Zustimmung der Ausländerbehörde erteilt worden ist. Das Zustimmungserfordernis (§ 11 DVAuslG) soll die Prüfung durch die zuständige Ausländerbehörde in den Fällen ermöglichen, in denen ein länger als dreimonatiger Aufenthalt oder ein Arbeitsaufenthalt angestrebt wird.

Wesentlich für das Verständnis der Vorschrift ist ihre Entstehungsgeschichte. Der Entwurf der Bundesregierung (BTDrucks 11/6321, S. 7) für § 8 Abs. 1 Nr. 2 AuslG lautete zunächst:

"Die Aufenthaltsgenehmigung wird auch bei Vorliegen der Voraussetzungen eines Anspruches nach diesem Gesetz versagt, wenn ... er mit einem ohne erforderliche Zustimmung der Ausländerbehörde erteilten Visum eingereist ist ..."

Auf Vorschlag des Innenausschusses wurde dann die weitere Voraussetzung eingefügt, dass das Visum "auf Grund seiner Angaben im Visumsantrag" erteilt worden sein muss (BTDrucks 11/6955, S. 12). In der Begründung dieser Änderung heißt es (BTDrucks 11/6960, S. 21]: "Die Änderung enthält die Klarstellung, dass der Versagungsgrund nur eingreift, wenn der Ausländer die fehlende Zustimmung zu vertreten hat." Erforderlich ist also Kausalität zwischen den Angaben im Visumsantrag und der Erteilung der Aufenthaltsgenehmigung ohne Zustimmung der Ausländerbehörde. Die Vorschrift zielt auf Fälle, in denen ein Ausländer unzutreffende Angaben hinsichtlich Zweck bzw. Dauer des beabsichtigten Aufenthalts macht. Sie soll die Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung an einen Ausländer verhindern, der sich den Aufenthalt durch Täuschung über seine Absichten erschlichen hat. Wird das Visum trotz zutreffender Angaben ohne erforderliche Zustimmung erteilt, greift mithin der Versagungsgrund nicht ein.

Der Kläger zu 1 ist zwar mit einem Visum eingereist, das ohne die erforderliche Zustimmung der Ausländerbehörde erteilt worden ist. Dies hat er aber nicht in dem dargelegten Sinne zu vertreten, da er in seinem Visumsantrag zutreffende Angaben hinsichtlich Zweck und Dauer des beabsichtigten Aufenthalts gemacht hat. Damit steht § 8 AuslG der Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung an den Kläger zu 1 nicht entgegen.


b) Ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung ergibt sich für den Kläger nicht aus dem Ausländergesetz. Insbesondere hat er keinen derartigen Anspruch nach §§ 17, 18, 22 und 23 AuslG.

aa) Diese Bestimmungen sind ausdrücklich auf Familienangehörige beschränkt. Aus § 17 Abs. 1 AuslG folgt, dass dem in Deutschland lebenden Ausländer und seinen nachzugsberechtigten Familienangehörigen zum Zwecke des nach Art. 6 GG gebotenen Schutzes von Ehe und Familie ermöglicht werden soll, die eheliche und familiäre Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet herzustellen bzw. zu wahren. Diese Vorschrift soll der aus Art. 6 Abs. 1 GG folgenden Verpflichtung des Staates Rechnung tragen, die bestehenden ehelichen und familiären Bindungen eines Ausländers an im Bundesgebiet lebende Personen in einer Weise zu berücksichtigen, die der großen Bedeutung entspricht, welche das Grundgesetz dem Schutz von Ehe und Familie beimisst. Allerdings begründet Art. 6 Abs. 1 GG grundsätzlich keinen grundrechtlichen Anspruch ausländischer Ehegatten oder Familienangehöriger auf Nachzug zu ihren berechtigt in der Bundesrepublik Deutschland lebenden ausländischen Ehegatten oder Familienangehörigen (BVerfGE 76, 1 [41 ff.]). Der Hinweis in § 17 Abs. 1 AuslG auf Art. 6 GG hat danach auch begrenzende Funktion (vgl. die amtliche Begründung zum Regierungsentwurf, BTDrucks 11/6321, S. 60). Der Gesetzgeber wollte einen Zuzug grundsätzlich nur solchen Ausländern zubilligen, die zu einem anderen Ausländer oder zu einem deutschen Staatsangehörigen (vgl. dazu § 23 AuslG) in einer vom Schutzbereich des Art. 6 GG gedeckten ehelichen oder familiären Beziehung stehen. Soweit über diesen grundrechtlich geschützten Bereich hinaus der Zuzug auch für sonstige Familienangehörige vorgesehen ist, soll dies der Vermeidung außergewöhnlicher Härten dienen. Ausländer, die keine nach der Rechtsordnung anerkannte verwandtschaftliche oder familiäre Beziehung zu in Deutschland bleibeberechtigten Personen aufweisen können, sollen dagegen von einem Zuzug nach diesen Vorschriften erkennbar ausgeschlossen werden (vgl. VGH Kassel, NVwZ-RR 1994, 55).

Art. 6 Abs. 1 GG gilt nicht für gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften. Das Bundesverfassungsgericht hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, daß die Ehe nach Art. 6 Abs. 1 GG die Vereinigung von Mann und Frau zu einer Lebensgemeinschaft ist (vgl. BVerfGE 10, 59 [66]; 49, 256 [300]; 53, 224 [245]; 62, 323 [330]; 87, 234 [264]; 3. Kammer des Ersten Senats, NJW 1993, 3058).

Hinreichende Gesichtspunkte für einen grundlegenden Wandel des Eheverständnisses in dem Sinne, dass der Geschlechtsverschiedenheit keine prägende Bedeutung mehr zukäme, sind nicht erkennbar. Aus der einfachgesetzlich nur schrittweise verwirklichten Gleichberechtigung können Folgerungen für einen Wandel des verfassungsrechtlichen Eheverständnisses nicht gezogen werden. Für einen derartigen Wandel spricht auch nicht, dass die Eingehung einer Ehe nicht von der Fortpflanzungsfähigkeit der Partner abhängig ist und dass die Zahl der kinderlosen Ehen zugenommen hat, während eine wachsende Zahl von Kindern außerhalb einer Ehe geboren wird. Mit diesen Erwägungen wird die Annahme nicht widerlegt, dass die Ehe vor allem deshalb verfassungsrechtlich geschützt wird, weil sie eine rechtliche Absicherung der Partner bei der Gründung einer Familie mit gemeinsamen Kindern ermöglichen soll (BVerfG, 3. Kammer des Ersten Senats, NJW 1993, 3058). Art. 6 Abs. 1 GG ermöglicht folglich nicht eine erweiternde Auslegung der §§ 17 ff. AuslG dahin, dass sie auf gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften anwendbar wären (vgl. auch OVG Bautzen, SächsVBl 1993, 183).


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